Immer wieder leben? Reinkarnation und christlicher Glauben

Reinkarnation und christlicher Glauben

Immer wieder leben?

„Wer kann schon sagen, was mit uns geschieht, vielleicht stimmt es ja doch, dass das Leben eine Prüfung ist, in der wir uns bewähren sollen. Nur wer sie mit ‚Eins‘ besteht darf in den Himmel kommen, für den ganzen dreckigen Rest bleibt die Hölle der Wiedergeburt: Als Tourist auf Ibiza, als Verkehrspolizist, als ein Clown in einer Zirkusshow, den keiner sehen will…“

So negativ wie im Song „Paradies“ der „Die Toten Hosen“ von 1996 wird der Glaube an eine Wiedergeburt nach dem Tod von dem meisten Menschen in Deutschland nicht gesehen. Die Vorstellung der Reinkarnation, einer erneuten Verkörperung wird meist als neue Chance gesehen: „Im nächsten Leben mache ich es besser“. Was dem einen oder anderen manchmal als scherzhafte Bemerkung über die Lippen geht, ist laut Befragungen für bis zu einem Viertel der Bevölkerung ein durchaus plausibler Gedanke. Der ist nicht auf die Esoterik-Szene oder die Anthroposophie beschränkt, sondern weit verbreitet. Als Zeugen werden die Sterbeforscherin Kübler-Ross, oder mehr oder weniger Prominente wie Shirley MacLaine und Franz Beckenbauer angeführt. Aber auch Geistesgrößen wie Goethe und Schopenhauer werden gerne zitiert. Die Diskussion darüber ist alt und schon Wilhelm Busch scherzte: „Die Lehre von der Wiederkehr ist zweifelhaften Sinn’s. Es fragt sich sehr, ob man nachher noch sagen kann: Ich bin’s“.

Reinkarnation in Asien
Die Vorstellung der Reinkarnation ist in den Religionen Asiens seit etwas mehr als 2500 Jahren verbreitet. Zentral ist damit die Überzeugung von der Rückwirkung unserer Taten verbunden, das Karma-Gesetz. Nach hinduistischer Vorstellung gibt es einen gewaltigen Kreislauf: wir können als Götter, Himmelswesen, Menschen oder Tiere, Geister oder Höllenwesen wiedergeboren werden.
Für Siddhartha Gautama (5. Jh. v. Chr.), genannt der Buddha gibt es nur einen unablässigen Prozess bedingten Entstehens. Gier, Hass und Unwissenheit halten die Kette der Reinkarnationen in Gang. Erst die Befreiung vom Verlangen führt zum Verlöschen (nirvana), dann ist die Kette der Reinkarnationen beendet. Im tibetischen Buddhismus werden die Reinkarnationen hoher Würdenträger mit Hilfe bestimmter Erkennungszeichen in Kindern wiedergefunden. Auf diese Weise entstehen Reinkarnationslinien, wie die des Dalai Lama. Das hat die Fantasie immer wieder angeregt und Filme wie „Little Buddha“ von Bertolucci angeregt.
Während in Asien die Menschen fragen, wie sie dem Rad der Wiedergeburten entkommen können, ist für Menschen in westlichen Kulturen die Reinkarnation nach dem Tod verbunden mit der Hoffnung auf eine neue Chance.

Sieben Gründe für den Erfolg der Reinkarnation im Westen

Reinkarnationsvorstellungen bieten ein plausibles Jenseitsbild angesichts des Verblassens traditioneller christlicher Vorstellungen und Bilder vom Leben nach dem Tod.

Was kommt nach dem Tod? Reinkarnation im Westen kombiniert die Stärken von Jenseitsvorstellungen, die sich auf vier Modelle zusammenfassen lassen: (1) Der Tod ist das Ende. (2) Zyklus: Leben und Tod wechseln im ewigen Kreislauf von Werden und Vergehen. (3) Linie: Nach der Lebenszeit tritt der Mensch durch den Tod in eine andere, jenseitige Existenzform. (4) Leben und Tod sind Täuschungen und letztlich eins.

Westlichen Reinkarnationsvorstellungen verbinden das zyklische und das lineare Modell. Aus Kreis und Linie entsteht eine sich nach oben windende Spirale, jede Drehung ist ein Leben, mit jeder Windung geht es weiter vorwärts.

Reinkarnationsvorstellungen sind orientiert am Modell des Lernens und entsprechen der Rahmenerzählung der Moderne: Wir sollen lernen und uns entwickeln, nicht nur lebenslang, sondern von Lebenslauf zu Lebenslauf. Dieser Gedanke begegnet uns bereits bei Lessing in der „Erziehung des Menschengeschlechts“.

In einer Welt der überfordernden Vielfalt wird die Reinkarnationsvorstellung zur Entlastung: Viele Male leben - was in einem Leben nicht zu leisten ist, wird in kommenden Leben nachgeholt.

Reinkarnationsvorstellungen bieten dem Individuum Hoffnung auf Identität über den Tod hinaus. Die Angst vor dem Ende ist relativiert, ich gehe nicht verloren, sondern bleibe erhalten, wenn auch in neuer Gestalt. Das befriedigt das narzisstische Gemüt. Und das Jenseits ist beruhigend vertraut, weil diesseitig.

Reinkarnationsvorstellungen deuten mein heutiges Leben, meine Eigenheiten und meine Person auf dem Hintergrund vorangegangener Lebensläufe, das entlastet.

„Warum lässt Gott das zu?“ Die quälende Theodizeefrage tritt zurück, denn Reinkarnationsvorstellungen entlasten von der Unbegreiflichkeit des Schicksals. Weil jedes Lebensschicksal Ausdruck und Folge vorangegangener Lebensläufe ist, wird durch das Karmaprinzip auch ein schweres Schicksal rational und gerecht erklärt.


Christlicher Glaube und Reinkarnation
Die Bibel enthält keinerlei Hinweise auf Reinkarnation. Der Tod ist im Alten Testament der Punkt ohne Wiederkehr, im Neuen Testament dominieren die Erwartung des Reiches Gottes und der Wiederkunft Christi. Auferstehung ist nach biblischem Verständnis Ausdruck göttlicher Gnade und Zuwendung, ihr Geheimnis ist die Liebe Gottes zu seinen Menschen.
So wie für die Bibel die Reinkarnationsvorstellung außerhalb ihres Blickes lag, hat auch die frühe Christenheit an ihr kein Interesse gefunden. Die Behauptung einer Verurteilung der Reinkarnation beim Konzil von Konstantinopel 553 ist eine Fehlinterpretation der altkirchlichen Texte.
Der Verbindung von Reinkarnationsvorstellungen mit dem christlichen Glauben stehen theologische Gründe entgegen:

Die rationalisierende Deutung des Schicksals, das als karmische Schuld interpretiert wird.
Lernen und Entwicklung als zentrale Lebensdeutung lassen eine Leistungsmentalität in die Religion kommen und eröffnen die Vorstellung unbegrenzter Selbstentwicklung.
Der christliche Glaube geht nicht von einem unzerstörbaren Ich aus, das sich entwickelnd zum göttlichen Ursprung zurückkehrt, sondern von einem ganzen Menschen, der aus der Beziehung zu Gott existiert.
Die mit der Reinkarnation verbundene Vorstellung vom Karma ersetzt den lebendigen Gott durch eine unpersönliche Gesetzesstruktur.
Reinkarnation relativiert den Tod als Übergang in ein nächstes Leben, die radikale Begrenzung und das Ende aller menschlichen Möglichkeiten werden nicht ernst genommen.

Die Aufnahme der Reinkarnationsvorstellung in den christlichen Glauben hätte eine substantielle Veränderung mit sich gebracht, denn wo Reinkarnation erklärt und deutet, setzt der christliche Glaube auf Vertrauen und Beziehung.

Dr. Rüdiger Sachau, 27.11.2012

 

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