Wie gehen Seelsorger mit ethischen Konflikten um?

Wie gehen Seelsorger mit ethischen Konflikten um?

Ergebnisse einer Studie von Evangelischer Akademie und FEST

© privat

Künstliche Ernährung, Therapiebegrenzungen, Sedierung von Patienten am Lebensende, Schwangerschaftsabbruch – zunehmend konfrontieren medizinische Maßnahmen Seelsorgende im Krankenhaus mit ethischen Fragestellungen. Mit welchem Verständnis von Seelsorge und Ethik gehen Seelsorgende an diese Konflikte heran? Welche Rolle nehmen sie in der Seelsorge am Krankenbett und in Gremien der Ethikberatung ein? Wie sich die Perspektive der Seelsorge auf die Wahrnehmung ethischer Konflikte und die Art und Weise des Umgangs mit ethischen Fragen ausübt, geht eine Interviewstudie der Evangelischen Akademie und der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft FEST nach. Studienleiterin Simone Ehm berichtet über erste Ergebnisse der Untersuchung.

Die Ergebnisse der Studie unterstreichen die große Bedeutung der Krankenhausseelsorge im Umgang mit ethischen Konflikten. Zu beobachten ist, dass sich das Selbstverständnis des Krankenhauses (und seiner Professionen) oft in der Formulierung ethischer Konflikte und dann auch im Umgang mit diesen abbildet: In der Institution Krankenhaus werden viele Ent-scheidungssituationen herbeigeführt, die zugespitzt und in ihrer grundsätzlichen Komplexität reduziert sind. Die Ergebnisse der Interviewstudie zeigen, dass Seelsorgerinnen und Seelsorger maßgeblich dazu beitragen, diese Entscheidungssituationen zu weiten und in einen größeren Kontext zu stellen. Damit binden die Seelsorgenden ethische Reflexionen an die Wirklichkeit von Patienten, Angehörigen und das Krankenhauspersonal zurück und ermöglichen tragfähige Entscheidungen.

In den Interviews zeichnen Seelsorgende von sich selbst das Bild eines Grenzgängers oder einer Grenzgängerin im Kontext Krankenhaus. Deutlich wird, dass  gerade diese Personengruppe von ihrer Stellung im System her prädestiniert dafür ist, Konfliktsituationen, die unter den Bedingungen im Krankenhaus konstruiert und bearbeitet werden, in einen weiteren Horizont zu stellen.

Insgesamt zeigt sich, dass Seelsorgende einen prinzipienorientierten Umgang mit ethischen Fragen ablehnen. Aus der Selbstbeschreibung der Seelsorgenden geht hervor, dass diese ein Verständnis von Ethik haben, das Züge einer Care-Ethik, einer Ethik der Fürsorge, trägt. Als Vertreterinnen und Vertreter einer solchen Fürsorgeethik kritisieren sie die Kontextarmut prinzipienorientierter Ansätze. Sie betonen das Angewiesensein und die Bezogenheit von Menschen aufeinander.

Zentrales Anliegen der Seelsorgenden ist es, ihrem Gegenüber zu einer selbstverantworteten Entscheidung zu verhelfen. Ihr Handeln in ethischen Konflikten dient der Selbstvergewis-serung des Gegenübers über die eigene Moral und Ethik. Das Bemühen der Seelsorgenden, Entscheidungskontexte für Patienten, Angehörige oder das Personal zu rekonstruieren und ethische Fragen so wieder bearbeitbar zu machen, trägt diesem Anliegen Rechnung. Neben diesen Beobachtungen offenbaren die Interviews, dass es im Umgang mit ethischen Konflik-ten bei den Seelsorgenden Spannungen gibt zwischen grundsätzlichen Annahmen zum beruflichen Selbstverständnis und ihrem Handeln in der Praxis. Nicht in allen Fällen werden diese Spannungen von den Seelsorgenden bewusst reflektiert.

Deutlich werden schließlich auch die strukturellen Hindernisse für das Einbeziehen seelsor-gerlicher Perspektiven. Dies gilt für die Individualseelsorge, insbesondere aber für die institutionalisierte Ethikberatung, in der sich die Rolle der Seelsorgenden teilweise primär aus einer institutionellen Notwendigkeit bzw. Logik ergibt. So übernehmen Seelsorgende als „Experten für Kommunikation“ oft die Moderatorenrolle in ethischen Fallbesprechungen. Damit gehen spezifisch seelsorgerliche Perspektiven in der Ethikberatung häufig verloren. Insgesamt regt die Praxisstudie dazu an, sich in evangelischen Krankenhäusern systematisch mit den Vo-raussetzungen und Rahmenbedingungen medizinethischer Auseinandersetzungen zu beschäftigen und die Rolle der Seelsorgenden in diesen Diskursen aktiv zu reflektieren.

Die von der Studienleiterin der Evangelischen Akademie zu Berlin, Simone Ehm, verantwortete Studie stand am Beginn des zweijährigen Forschungsprojektes „Das Gewissen in der Seelsorge“ der FEST. Interviewt wurden bundesweit Seelsorgende in Krankenhäusern der größten evangelischen Träger Deutschlands. Die Rahmenbedingungen in den einzelnen Kliniken schlagen sich in der Studie nieder: Es wurde mitbetrachtet, inwiefern institutionelle Kontexte ethisches und seelsorgerliches Handeln beeinflussen.

Die Studienergebnisse werden am 21. Mai 2012 auf der Fachtagung „Wie gehen Seelsorger mit medizinethischen Konflikten um? Zum Verhältnis von Ethik und Seelsorge im Kranken-haus“ vorgestellt, die die Evangelische Akademie zu Berlin gemeinsam mit der FEST durch-führt. Die Veranstaltung wendet sich in erster Linie an Krankenhausseelsorgende. Ziel ist es, Impulse zur Verhältnisbestimmung von Seelsorge und Ethik zu geben und den Austausch unter Seelsorgenden zu befördern. Weitere Informationen zur Tagung finden Sie hier.

Simone Ehm

 

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