„Wo beginnt die Erzählung?"

„Wo beginnt die Erzählung?

Rückblick auf das 11. Ost-westeuropäische Gedenkstättenseminar Kreisau im März 2013

© EAzB

20. bis 23. März 2013

Wo beginnt die Erzählung?
Übergange und Zwischenzeiten in Narrativen der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts

Geschichte des 20. Jahrhunderts“ - unter diesem Titel stand das 11. Ost-westeuropäische Gedenkstättenseminar in Kreisau. Diskutiert wurde die Wirkungsgeschichte der Ereignisse in diesem Zeitraum in den unterschiedlichen Ländern Europas. Wie werden in Gedenkstätten, Ausstellungen oder Veranstaltungen jeweils die Perspektiven der beteiligten und benachbarten Gesellschaften aufgenommen? Wie stellte sich die Entwicklung der Politik in den einzelnen Ländern dar? Was trennt die Wahrnehmungen und was verbindet sie? Diese und andere Fragen diskutierten etwa 50 Tagungsteilnehmer aus Deutschland, Polen, Russland, der Ukraine, Frankreich und Österreich.

Während Dr. Oleksandr Zajcev in seinem Einführungsvortrag „Das Jahr 1938 in seiner Bedeutung für die Ukraine mit Seitenblicken auf Ungarn und die Slowakei“ Einblicke in seine Forschung zur Bedeutung des Jahres 1938 für die ukrainischen Nationalisten gewährte, schilderte Dr. Heidemarie Uhl unter der Überschrift „Österreich als erstes Opfer des Nationalsozialismus?“ die geschichtspolitische Debatte in Österreich und deren museale Aufarbeitung. Der Impuls „50 Jahre Elysée-Vertrag von 1963 als Wegmarke der europäischen Integration“ von Prof. Dr. Ulrich Pfeil beleuchtete Mythen – Narrative – Meistererzählungen  und den Slogan des „Erinnerungshypes“ der letzten Monate: „Von der Erbfeindschaft zur Erbfreundschaft“.
Am folgenden Tag standen zunächst „die polnisch-tschechischen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit“ im Mittelpunkt, über die Dr. Grzegorz Gasior referierte. In seinem zweiten Vortrag „Der Weg aus Krieg und Besatzung: Frankreich 1944/45“ sprach Prof. Dr. Ulrich Pfeil davon, wie die durch Kriege verursachten Demobilisierungen und Verletzungen der betroffenen Gesellschaften über das offizielle Datum des Kriegsendes fortdauern. Im Anschluss stellten Natalja Paegle und Wadim Osipow aus Jekaterinenburg ihr Projekt: „Am anderen Ufer: Russlands Deutsche – aus der Vergangenheit in die Zukunft“ vor. Im Rahmen des deutsch-russischen Jahres 2012 wurden politische und gesellschaftliche Fragen, die bis heute für die Russlanddeutsche typisch sind, bearbeitet.
Der dritte Tag des Seminars stand unter der Überschrift: „Zwischenkriegszeit – Übergänge – Neuanfänge: Zäsuren und ihre Darstellung in Museen und Ausstellungen“. Die Frage, wie kritisch und selbstkritisch Erinnerung an nationale Mythen und „Überväter“ sein muss, war Thema der ersten beiden Vorträge. Zunächst beschrieb Dr. Przemyslaw Wywial „Józef Pilsudski in der polnischen Erinnerung nach 1945“. Jan Šícha und Blanka Mouralová stellten danach das Museumsprojekt aus Ústí nad Labem (Tschechien) vor: „`Unsere Deutschen´ – eine Ausstellung zur Geschichte der Deutschen in den böhmischen Ländern“. In diesem Projekt wird die Geschichte der deutschsprachigen Bevölkerung in ganz Tschechien thematisiert. Der Vortrag von Andrej Kalich zum Thema: „Wie politische ist die Erinnerung? Zur aktuellen Lage in Russland“ wurde von den gegenwärtigen Ereignissen in Russland überschattet. Die in den Medien vielfach kritisierten Durchsuchungen von Seiten des Staates hatten auch das Zentrum zur Entwicklung von Demokratie und Menschenrechten in St. Petersburg getroffen, für das Kalich arbeitet.
Die Impulse zum Thema „Katyn im Gedächtnis der Nationen“ fanden in der Universität Wroclaw in Kooperation mit dem Instytut Pamieci Narodowej (IPN, Institut für Nationales Gedenken) statt. Dr. Stanislaw Bogaczewicz stellte die Arbeit des IPN vor. Im zweiten Vortrag dieses Abends präsentierte Dr. Anna Kaminsky ein großes Publikationsprojekt der Bundesstiftung Aufarbeitung zu Gedenkorten von kommunistischen Verbrechen. Zum Abschluss stellte Leszek Rysak eine besondere Form der Erinnerungskultur vor: Die „Katyn Rides“. Dabei handelt es sich um gemeinschaftliche Motorradfahrten über eine bis drei Wochen zu Orten, die mit dem Massaker von Katyn verknüpft sind.

Der letzte Tag des Gedenkstättenseminars stand unter dem Motto „Forum historisch-politische Bildung: Projektpräsentationen“. Wie bereits in der Präsentation des Museumsprojektes „Unsere Deutschen“ in Tschechien sollen hier neben Fragen der historischen Vermittlung und geschichtspolitischer Debatten auch praktische Hinweise zu Erfahrungen mit der Konzeption und Durchführung von Ausstellungen ausgetauscht werden. Insa Eschenbach präsentierte dabei „Die neue Dauerausstellung der Gedenkstätte Ravensbrück“, deren Eröffnung am 21.4.2013 erfolgte. Tomasz Kizny präsentierte das Fotoprojekt „Der große Terror 1937/38 – Bilder und Erinnerung“. Sein abschließender Vortrag „Der große Terror 1937/38 – Bilder und Erinnerung“ beschrieb ein Dokumentarprojekt, das den Opfern von 750.000 Erschießungen binnen 15 Monaten und von 800.000 Verschleppungen in Gulags gewidmet ist.
Das in der Internationalen Begegnungsstätte der Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung Krzyzowa (Kreisau), in Polen durchgeführte Seminar wurde von der Evangelischen Akademie zu Berlin gemeinsam mit der Gedenkstätte Stiftung Kreisau, der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, dem Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität/Warschau in Verbindung mit der Kreisau-Initiative Berlin e.V. vom 20 bis 23. März veranstaltet.
Wie in jedem Jahr wurden auch 2013 wieder zahlreiche Kontakte zwischen Wissenschaftlern, „Aufarbeitern“ und Mitarbeitern von Gedenkstätten über alle Landesgrenzen hinweg geknüpft. Und in der Tat ist die internationale Vernetzung eines der wichtigsten Ziele der Kreisauer Gedenkstättenseminare. Wenn auch Sie Interesse haben, künftig an einem Gedenkstättentreffen in Kreisau teilzunehmen oder Ihre Gedenkstätte bzw. Ihr Projekt dort präsentieren möchten, sind Sie herzlich dazu eingeladen. Wenden Sie sich einfach an eine der mitwirkenden Organisationen. Wir freuen uns über neue Kontakte zu Aufarbeitungsinstitutionen in Ost und West.
Den gesamten Bericht von Studienleiterin Claudia Schäfer finden Sie hier. (PDF-Dokument, 210.7 KB)

 

 

 

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