Kein Einkommen ohne Gegenleistung

Kein Einkommen ohne Gegenleistung

© EAzB / Karin Baumann

Das Bedingungslose Grundeinkommen ist auch dann ein Konkurrenzmodell zum bestehenden Sozialstaat, wenn die schwierigen Fragen nach der Finanzierung einmal ausgeblendet werden. Das machen sich viele Anhänger(innen) nicht klar. Das Modell legt zugleich Hand an zentrale ethische Grundlagen der Sozialversicherungen und der sozialen Partnerschaften in unserem Gemeinwesen, mit denen Umverteilung, Chancengerechtigkeit und soziale Teilhabe organisiert werden. Ein kritischer Blick des Studienleiters für Wirtschaft, Dr. Michael Hartmann, auf die Konsequenzen einer Entkoppelung von Arbeit und Einkommen, wie sie derzeit diskutiert wird.

 

Kein Einkommen ohne Gegenleistung

Die Entkoppelung von Arbeit und Einkommen gilt vielen als der Einstieg in eine fundamentale Demokratisierung der Gesellschaft, zumindest aber des Sozialstaates. „Freiheit – Gleichheit –Grundeinkommen“ ist ein Motto der Verfechter dieser Idee. Für andere, so den Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz Kardinal Marx, ist es gerade das „Ende der Demokratie“.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin hat jüngst ein Modell für ein „Solidarisches Grundeinkommen“ vorgestellt, die Landessynode der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) hat zu ihrer Tagung am letzten Oktoberwochenende dieses Schwerpunktthema gesetzt und dazu den Politikwissenschaftlicher Christoph Butterwegge eingeladen. Die Befürworter der unterschiedlichen Modelle für ein bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) sind so unterschiedlich positioniert wie die Modelle selbst. Butterwegge als Kritiker des Modells sieht keine Lösung bei der Behebung von Ungerechtigkeiten bei Einkommen, Vermögen und Lebens- wie Bildungschancen, ja er prognostiziert eine Zerschlagung des Sozialstaats als reale Gefahr und als einen zwangsläufig zu zahlenden Preis einer Umsetzung des Grundeinkommens. Andere wollen vielleicht genau das mit der Einführung des BGE erreichen.

Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit bezeichnete das Modell des Regierenden Bürgermeisters von Berlin bei einem „Wirtschaftsethischen Frühstück“ in unserer Akademie einige Tage vor Beginn  der Landessynode als eine völlig verfehlte Rückkehr zu den gescheiterten Modellen der öffentlich geförderten Arbeit in Form der Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, der „ABM“. Wie mit einigen Auflagen beim Arbeitslosengeld II (ALG II) verbinden viele Menschen auch mit den ABM schlechte Erfahrungen und vielfach enttäuschte Hoffnungen.

Eine zentrale Frage für den Staat und seine Sozialversicherungen muss sein, welche Aufgaben und Verpflichtungen zur Integration und sozialen Inklusion ein Wohlfahrtsstaat wie unserer abzuarbeiten hat, damit sozialer Ausschluss – nicht nur durch Arbeitslosigkeit – vermieden werden kann. Dieser Aufruf zur Sorge um jede(n) einzelne(n), die bzw. der aus der sozialen und wirtschaftlichen Teilhabe herauszufallen droht, ist das Wesen des modernen Sozialstaates und legitimiert den unauflöslichen Zusammenhang zwischen der Erwartung an das Eigenengagement einerseits und der Zusage von beratender Zuwendung und von finanziellen Transferleistungen.

Die Befürworter(innen) des Grundeinkommens rücken Freiheit und Autonomie der Menschen in den Vordergrund. Dies geschieht zwar mit einer auch aus der Geschichte des Sozialstaats gegebenen Berechtigung, denn einer der Väter des Sozial- und Wohlfahrtsstaatsgedankens, William Beveridge (1879 bis 1963), formulierte früh diese Freiheiten - als „Freiheit von Unterhaltsbeziehungen“, „von Arbeitszwängen“ und „von Bedürftigkeitsprüfungen“. Nun bleibt allerdings die Frage offen, wie ohne den Verzicht gerade auf diese Elemente eine zielgenaue Förderung von Menschen nach Lebenslagen, besonderen Benachteiligungen und Qualifikationen gewährleistet werden kann. Man darf nach jahrzehntelangen Erfahrungen in der Arbeitsmarktpolitik vermuten, dass gezielte Entwicklung und Förderung von Potentialen bei Arbeitslosen mehr erreicht als die Beschäftigungstherapie im Gartenbau oder anderen qualifikationsfremden Tätigkeiten, die letztlich nichts anderes als einen Lohndruck auf die Beschäftigten in den jeweils konkurrierenden Gewerben bewirkt. Am Ende hat es dann in anderen Branchen eher mehr statt weniger Prekarisierung trotz vorhandener Beschäftigung gegeben. 

Soziale Integration erfolgt in unserer Gesellschaft nach wie vor in einem hohen Maße durch die Teilhabe am Erwerbsarbeitsleben. Dass sich Bezieher von bedingungslosen Transfereinkünften umso stärker beruflich verwirklichen und am bürgerschaftlichen Engagement partizipieren, ist eine Erwartung, die im tiefen Kontrast zu aller Erfahrung und empirischer Evidenz zur Verbreitung freiwilliger gesellschaftlicher Arbeit steht. Denn hier engagieren sich vor allem Menschen, die bereits im Berufsleben hochgradig eingespannt sind und ein hohes Maß an sozialer Integration mitbringen.

Kritikern des Grundeinkommens wird gern ein negatives Menschenbild unterstellt: „Ein bedingungsloses Grundeinkommen in existenzsichernder Höhe befreit von lähmender Existenzangst und setzt ungeahntes kreatives Potential frei. Es fördert Risikobereitschaft und Unternehmergeist, die eine wesentliche Grundlage für Selbständigkeit und Innovationen darstellen. Darüber hinaus stärkt das Grundeinkommen die Selbstorganisationskräfte der Gesellschaft  und fördert die Entwicklung dezentraler Problemlösungen.“, so Hohenleitner und Straubhaar in einem Artikel aus dem Jahr 2007 (APuZ 51-52, S. 18).

Wird hier ein positives Menschenbild zum Schwingen gebracht oder werden wesentliche Bedingungen von Sozialstaatlichkeit ausgeblendet oder gar ins Gegenteil verkehrt? Unser Sozialstaat versichert mit seinen Sozialversicherungen die Grundrisiken des Lebens. Er verfolgt darin zugleich das Prinzip der Gegenseitigkeit. Nach dem liberalen Gerechtigkeitsverständnis von John Rawls etabliert sich Gerechtigkeit in einer Gesellschaft als System von Institutionen, die langfristig, das heißt generationenübergreifend, ihre Leistungsfähigkeit aufrecht erhalten. Soziale Kooperation wird erst so gesellschaftlich und über die Zeit stabil möglich. Solch ein System lebt auch von den Potentialen und der besonderen Leistungsfähigkeit einzelner Personen oder Gruppen, den Leistungsträgern einer Gesellschaft. Deren größere materiellen und qualifikatorischen Möglichkeiten, nicht nur die eigene Existenz sichern, sondern einen relativ größeren Beitrag zur allgemeinen Wohlfahrt leisten zu können, schaffen am Ende wichtige Voraussetzungen für sozialen Ausgleich und gesellschaftliche Fairness. Nur so wird ein komplexes System der Sozialversicherung und der Umverteilung in den Stand versetzt, die schwächeren Mitglieder der Gesellschaft fördern zu können. Diese ‚überschüssige‘ Leistungsfähigkeit ist nach John Rawls ein zentrales Guthaben der Gemeinschaft und dieses Guthaben rechtfertigt letztlich auch erst die Ungleichheit zwischen den Mitgliedern der Gesellschaft.

Doch wie entstehen diese Überschüsse und Potentiale einer Gemeinschaft?  Sind sie ohne Arbeit, ohne Erwerbsarbeit denkbar? Ist nach den Innovationen des Finanzmarktkapitalismus oder den Digitalisierungsschüben in der Industrie Einkommen ohne Arbeit das neue Kapital einer Gesellschaft? Wohl kaum. Es gibt bislang kein arbeitsloses Einkommen, auch wenn sich die Relationen zwischen den Einkommensarten in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung verändert haben mögen.

Das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) kann vielmehr die bestehenden Balancen der Gegenseitigkeit empfindlich stören. Es privatisiert letztlich Risiken, je nachdem wie viele sozialstaatliche Institutionen am Ende für das BGE aufgegeben werden (müssen). Unter dem Regime der Bedingungslosigkeit wird am Ende alles freiwillig. Aber: gleiche Freiheiten sorgen nur unter Gleichen für Chancengleichheit. Unter Ungleichen verstärken sie soziale Disparitäten und sozialen Ausschluss.

Neben den fehlenden Anreizen, durch eigene Arbeitsleistung den sozialen Ausgleich zu finanzieren, leiden die Systeme der Grundeinkommen unter einer viel schärferen Abgrenzung von Leistungsträgern und Leistungsempfängern in einer Gesellschaft. Wenn auf einen Blick zu erkennen ist, wer wieviel beiträgt, besteht die Gefahr sozialer Spaltung: wer finanziert (noch) und wer empfängt nur noch?  Und natürlich erzeugt die vom Staat prämierte Stilllegung von Arbeitskraft negative Wohlfahrtseffekte, für die irgendjemand bezahlen muss.  Wer hilft dann noch Schwächeren und weniger gebildeten und ausgebildeten, neue Potentiale aufzubauen und zu entfalten? Der Graben zwischen denen, die das Grundeinkommen brauchen und denen, die es finanzieren, könnte dramatisch anwachsen.

Am Anfang der aktuellen Popularität des BGE standen Sorgen im Zusammenhang mit der digitalen Revolution in der Arbeitswelt. Vor allem aus dem Führungspersonal der Unternehmen des Silicon Valley kam Fürsprache für dieses Basic Income Guarantee (BIG) oder Unconditional Basic Income (UBI). Die Vertreter deutscher Unternehmen, die das BGE vorantreiben wollen, kommen nicht selten aus Branchen, die Treiber der Digitalisierung sind. Einer der prominenten Befürworter ist der Siemens-CEO Jo Kaeser. Kaeser kennt die Gefahren des Digitalen Kapitalismus und man muss ihm seine Sorgen um eine zunehmende Spaltung der Gesellschaft abnehmen. Umso interessanter ist es daher, dass er sich jüngst in Berlin bei der Suche nach Antworten auf seine Frage „Wie schaffen wir es, eine immer stärker geteilte Gesellschaft zu integrieren?“ der Frage steigender Wohnkosten und zunehmender Obdachlosigkeit  zuwandte. Seine Antwort sind offenbar Aufgaben, die in den Kernbereich sozialstaatlicher Aktivitäten fallen. Geförderter Wohnungsbau war in seinen Anfängen aber stets auch ein Teil der sozialen Verantwortung von Unternehmen.

Auch in dieser Hinsicht macht es Sinn, sich der Errungenschaften nicht nur des Sozialversicherungsstaates, sondern auch des Sozialen Kapitals in Form der Sozialpartnerschaft im Rheinischen Kapitalismus zu erinnern. Vor 100 Jahren endete der Erste Weltkrieg. Wenige Tage später, bereits am 15. November 1918 vereinbarten mit dem Stinnes-Legien-Abkommen erstmals Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften, die Arbeitsbedingungen durch allgemein verbindliche Kollektivvereinbarungen zu regeln und neben anderem sogenannte Arbeiterausschüsse (Betriebsräte) einzuführen. Das bedeutete einen großen sozialpolitischen Durchbruch, der die Bedingungen für Erwerbsarbeit in Deutschland fundamental änderte. Die daraus erwachsene Sozialpartnerschaft setzt sich heute in vielen Bereichen der Gesellschaft und des Sozialstaates fort und ist ein entscheidendes Element, das uns von den sozialen Bedingungen des Valleys, vor denen Jo Kaeser so nachdrücklich warnt,  unterscheidet. Das alles ohne Not aufs Spiel zu setzen, Institutionen des sozialen Ausgleichs in ihrem Bestand zu gefährden, kann nicht die Antwort auf die Frage nach einer chancengerechten Gesellschaft und mehr sozialer Teilhabe sein.

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