Beobachtungen in einer veränderten Welt 22

Friedenspolitik in Corona-Zeiten

Beobachtungen in einer veränderten Welt 22 - Uwe Trittmann

Corona-Blog Trittmann

© EAzB

Die Welt neu denken: Corona hat alle Länder getroffen, die vermeintlich starken wie die ärmsten und schwachen. Trotzdem sind die meisten Versuche, der Krise zu begegnen, nationaler Art, kritisiert Uwe Trittmann. Er fordert, die Pandemie als Chance zu nutzen für neue Wege der Kooperation und Solidarität.

Seit fast drei Monaten bestimmt die Corona-Pandemie das öffentliche, mediale und politische Leben – nicht nur in Deutschland. Die Auswirkungen sind zu einer globalen Herausforderung geworden: Globalisierung unter anderen Vorzeichen... Genauer betrachtet, wird sehr schnell deutlich: Was nur multilateral und gemeinsam angegangen werden kann, wird weitgehend mit nationalen Lösungsansätzen bearbeitet. Inzwischen bestreiten nur noch wenige die Notwenigkeit gemeinsamer medizinischer Forschung und globaler Gesundheitspolitiken, die Aufgaben für eine neu zu stärkende WHO liegen auf der Hand. Skepsis bleibt jedoch angesagt angesichts der massiven Krise des Multilateralismus, neu entfachter Großmachtkonflikte und einer auf unabsehbare Zeit geschwächten UN und ihrer Institutionen – allen voran der blockierte Sicherheitsrat. Der schon fast verzweifelte Appell von UN-Generalsekretär António Guterres, angesichts der Corona-Pandemie die Waffen schweigen zu lassen, ist weitgehend ohne Resonanz geblieben. Schauen wir nur beispielhaft nach Syrien, Libyen, in den Jemen oder nach Afghanistan: Für uns in Deutschland verschleiert die Corona-Nachrichtenlage die bittere Realität der humanitären Katastrophen, die sich in den genannten Konfliktländern abspielen. Ach ja, und die EU – ist wenigstens aktuell ein Bemühen für gemeinsame Wege aus der Krise zu spüren? Es bleibt eher fraglich, ob der Ruf des Außenbeauftragten Josep Borrell, die EU müsse gerade jetzt die Sprache der Macht neu lernen, die richtige Strategie ist. Solidarität und Kooperationsbereitschaft erfordern wohl eher „weiche“ Faktoren.

Unlängst hat eine sehr lesenswerte Studie der Weltbank auf die wachsenden Herausforderungen und auf die Zusammenhänge von Fragilität, Konflikten und Gewalt für den Zeitraum bis 2025 hingewiesen. Bis zum Ende des Jahrzehnts, so die Weltbank-Studie, werden mehr als 50 Prozent der Ärmsten in Ländern leben, die von eben diesen Problemen dominiert werden. Hinzu kommen schlechte Regierungsführung, Unterdrückung der Zivilgesellschaft und nicht zuletzt die Folgen des Klimawandels. Corona ist hier nur die eine Seite der Medaille. Nicht neu sind daher die Forderungen, die in der Studie zur Lösung der Probleme angemahnt werden: Wenn jetzt in die Stärkung der Resilienzen einer Gesellschaft, in die Vorbeugung innergesellschaftlicher Gewalteskalation und in Infrastrukturmaßnahmen und Arbeitsplätze investiert wird, dann verspricht dieses Vorgehen Hoffnung. Im Rahmen der von der UN 2015 (also lange vor Corona!) verabschiedeten „Agenda 2030“ mit ihren Sustainable Development Goals (SDGs) haben sich auch die „Staaten des Nordens“ verpflichtet, ihren Beitrag für eine friedlichere und gerechtere Welt zu leisten. Ihrem erklärten Willen müssen sie angesichts der Corona-Folgen nun noch mehr Taten folgen lassen: common world – common future!

Was lehrt uns die aktuelle Krise für den deutschen friedenspolitischen Diskurs? In den letzten Jahren wurden ressortübergreifend Krisenfrüherkennung und friedliche Konfliktlösung zu strategischen Zielen erklärt und Schritte zur Umsetzung definiert. So weit, so gut. Die Bundesregierung verpflichtete sich 2017 in den Leitlinien „Krisen verhindern, Konflikte lösen, Frieden fördern“, „ihre Instrumente zur Krisenfrüherkennung [zu] verfeinern und enger miteinander zu verzahnen; Methoden der strategischen Vorausschau anzuwenden und eine enge internationale Zusammenarbeit bei der Krisenfrüherkennung und Fragilitätsanalyse zu suchen [und] gemeinsame Lageeinschätzungen zu potentiellen Krisen zu fördern“. Der Praxischeck zeigt jedoch, dass zwischen dem verbesserten „early warning“ und einer effektiven „early action“ noch immer große Lücken klaffen. Eine kohärente friedenspolitische Umsetzung der Leitlinien und eine regelmäßige Evaluation lassen bis heute weitgehend auf sich warten. So verwundert es nicht, dass auch während der derzeitigen Pandemie die einen eine Debatte über die Anschaffung neuer Kampfjets für den Transport von Atombomben anstacheln, andere die Fortsetzung oder Ausweitung von Bundeswehreinsätzen im Ausland (z.B. in Mali) fordern und wieder andere primär deutsch-französische Alleingänge für die europäische Verteidigungs- und Sicherheitspolitik in den Blick nehmen.

Ich möchte nicht missverstanden werden: All diese Themen sind notwendig zu diskutieren: im Parlament, in der Gesellschaft und auch im friedensethischen Diskurs in den Kirchen. Aber bitte nicht losgelöst und isoliert von den globalen Herausforderungen durch die Corona-Pandemie. Die Debatte, die Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vor kurzem im Berliner Tagesspiegel angestoßen hat – sie führt in die richtige Richtung und muss auch den friedenspolitischen Kurs bestimmen: „Noch immer ist nicht nur die Pandemie das größte Problem, sondern der Klimawandel, der Verlust an Artenvielfalt, all die Schäden, die wir Menschen und vor allem wir Europäer durch Übermaß der Natur antun. Hoffentlich werden uns nicht wieder nur Abwrackprämien einfallen, die es der Industrie ermöglichen, weiter zu machen wie bisher“. Auch Entwicklungsminister Gerd Müller bemüht sich seit Wochen, den Blick für die Notwendigkeit globaler Einsichten und Lösungen zu schärfen. Die Corona-Pandemie hat alle Länder getroffen, die vermeintlich starken ebenso wie die ärmsten und schwachen: Sie kann und sollte auch als Chance genutzt werden für neue Wege der Kooperation und Solidarität. Auch hier empfiehlt es sich, mithilfe neuer Allianzen „williger Kooperanten“ hoffnungsvolle Zeichen zu setzen und andere zur Beteiligung zu animieren.

Die EKD hat bei ihrer Synode 2019 zum Schwerpunktthema Frieden den Nexus zwischen Nachhaltigkeit und gerechtem Frieden in den Mittelpunkt gerückt. Unbedingte Voraussetzung dafür ist der umfassende und positive Friedensbegriff, an dem festgehalten wird: „Gottes Frieden umfasst ein Leben in Würde, den Schutz vor Gewalt, die Bewahrung unserer Lebensgrundlagen, den Abbau von Ungerechtigkeit und Not, die Stärkung von Recht, Freiheit und kultureller Vielfalt“ (Kundgebung der EKD-Synode: https://www.ekd.de/kundgebung-ekd-synode-frieden-2019-51648.htm). Diese friedensethische Kursbestimmung lässt uns für die gesellschaftlichen und politischen Diskurse sprachfähig bleiben – sie ist Zuspruch und Anspruch zugleich.

Was bleibt zum Schluss? Die Welt neu denken: Corona hat uns einmal mehr vor Augen geführt, was wir seit Jahrzehnten wissen. Es ist höchste Zeit, den bekannten Analysen und Forderungen Taten folgen zulassen. Vor 40 Jahren hat Willy Brandt als Vorsitzender der Nord-Süd-Kommission den Bericht „Das Überleben sichern“ an die UN übergeben. Die Kernaussage ist heute so aktuell wie damals: „Die Welt ist eine Einheit, und wir müssen anfangen, entsprechend zu handeln – als Glieder dieser Einheit, die aufeinander angewiesen sind“.

Am 16. Juni werden wir in der Akademie mit einem digitalen Format das diesjährige Friedensgutachten präsentieren. Wir laden Sie herzlich ein mitzudiskutieren (weitere Informationen finden Sie unter: https://www.eaberlin.de/seminars/data/2020/pol/das-friedensgutachten-2020-n/

 

Dieser Text steht unter CC-0 und darf frei geteilt und modifiziert werden.

Uwe Trittmann

Studienleiter für Friedensethik, Außen- und Sicherheitspolitik

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