Neue Blickwinkel befördern

Neue Blickwinkel befördern

Der neue Stiftungsvorsitzende über Aufgaben und Herausforderungen der Akademie

© AEU

Anfang September hat sich das Kuratorium der Stiftung zur Förderung der Evangelischen Akademie zu Berlin neu konstituiert. Zu seinem Vorsitzenden hat es den Berater und Unternehmer Friedhelm Wachs gewählt, der auch Vorsitzender des Arbeitskreises Evangelischer Unternehmer ist. Im Interview spricht Wachs über Aufgaben und Herausforderungen der Akademie als Ort der Reflexion, der Kontroverse und der Demokratiebildung. Als Stiftung gelte es künftig unter anderem, Arbeitsfelder mit besonderer Ausstrahlung zu unterstützen und Leuchtturm-Projekte der Akademie in ihren Funktionen sowohl für die Hauptstadt als auch für den ländlichen Raum zu fördern.

Herr Wachs, Sie sind frisch berufen als Vorsitzender der Stiftung zur Förderung der Evangelischen Akademie zu Berlin. Was sind Ihrer Meinung nach vordringliche Aufgaben der Akademie in Kirche und Gesellschaft?

Friedhelm Wachs: Wir leben im Umbruch, am Ende der einen und Beginn einer neuen Epoche. Wie die sich gestalten wird, wissen wir nicht. Dystopien stellen Utopien in Frage. So erleben wir eine Reihe von Gefährdungen für unser Gesellschaftsmodell. Aufgabe der Evangelischen Akademie ist, einen Raum zu schaffen, in dem zum einen gesellschaftliche Entwicklungen reflektiert werden können, in dem zum zweiten Kontroversen geschützt und wertschätzend ausgetragen werden können und wo drittens auch die protestantischen Perspektiven auf diese Themen Gehör finden. Diesen Dreiklang wirksam werden zu lassen, ist vordringlich. 

Welche Schwerpunkte sind dabei zu setzen?

Wachs: Demokratiebildung ist nach den gesellschaftlichen und kirchlichen Erfahrungen aus der NS-Zeit, aber auch der DDR eine permanente Aufgabe und ein Gründungsauftrag für die Evangelische Akademie zu Berlin. Demokratien sind vulnerable Systeme, das sehen wir auch jetzt wieder allerorten. Dabei geht es um Haltung. Um eine Grundhaltung. Und die wollen wir befördern. 

Diese Aufgabe ist nicht einfach. 

Es ist unser gesellschaftlicher Platz als Kirche gerade in diesen lauten, oftmals populistischen Zeiten, ein Ort zu sein, in dem auch Menschen und Positionen miteinander sprechen, die das sonst nicht oder selten tun. Zugleich müssen wir immer wieder unser christliches Menschenbild befördern und auch verteidigen. Wir wissen aus den deutschen Diktaturen und aus vordemokratischen Zeiten, dass Sprachverbote nicht funktionieren. Die Menschen finden Räume, das zu sagen, was sie denken, und sie werden tun, was sie denken. Deshalb müssen wir diskutieren, konfrontieren, Einblicke und Einsichten schaffen. Wir müssen neue Blickwinkel und neue Horizonte eröffnen. Nur so kann es gelingen, Demokratie zu entwickeln und zu stärken. 

Deshalb finde ich den gesamten Arbeitsbereich der Demokratischen Kultur so wichtig, mit dem sich die Evangelische Akademie zu Berlin insbesondere auch im ländlichen Raum engagiert. Kirche ist dort oft der einzige Einübungsort für demokratische Umgangsformen. Wichtig ist besonders auch der Bereich der politischen Jugendbildung mit der neuen Werkstatt TROTZDEM!

Das ist die Daueraufgabe der Akademie im Einsatz für die Gesellschaft. 

Ebenso bin ich der festen Überzeugung, dass unsere Kirche die Evangelischen Akademien braucht und damit auch unsere: weil die Akademien Anker sind in Zeiten, in denen der sonntägliche Gottesdienstbesuch nicht mehr unbedingt zum Repertoire eines jeden Christenmenschen gehört; weil sie die Möglichkeit bieten, auf andere Weise mit Kirche in Kontakt zu kommen. Auch da sind wir im Umbruch. Orientiert an der Frage nach Relevanz, werden wir die Chancen der Digitalisierung für neue Formate nutzen und gut bewährte Formate fortsetzen. Wir sind kein Gesinnungsverein, wir sind Kirche. Wir haben einen Auftrag aus unserem Glauben heraus. Das ist der Unterschied, den wir in Kirche und Gesellschaft machen. 

Bei welchen Themen ist die Akademie derzeit besonders gefragt?

Wachs: Es sind gar nicht nur die Themen, die uns attraktiv machen, sondern unsere Herangehensweise, der andere Blick. Nachgefragt wird die Akademie besonders als verlässlicher Partner von Ministerien und Stiftungen, dessen Angebote es zu fördern lohnt, weil unsere Arbeit wirksam ist. Ganz besonders gilt das im Moment im Bereich der gesellschaftlichen und innerkirchlichen antisemitismus- und rassismuskritischen Bildung. Aber auch der Bereich der Medizin- und Pflegeethik, in dem existenzielle Fragen behandelt werden, ist gerade wieder besonders wichtig: Assistierter Suizid ist nicht nur mit Blick auf die Verantwortung diakonischer Einrichtungen ein wichtiges Thema. Der Pflegekräftemangel ist ein anderes Thema, das viele Menschen bewegt. 

Ungebrochen relevant bleibt die Akademie als Ausrichter des Berliner Symposiums zum Flüchtlingsschutz. Das ist ein wichtiges Forum für eine humane Flüchtlingspolitik, bei dem es immer wieder gelingt, Vertreterinnen und Vertreter von Ministerien und Verwaltung, der Zivilgesellschaft und der Kirche zusammenzubringen. Mit dem neuen Studienleiter für Europa und Migration hat die Evangelische Akademie zu Berlin ihr Engagement in diesem Feld verstärkt.

Im Arbeitsfeld Wirtschaft bietet sich der Akademie in der Hauptstadt die Möglichkeit, ein relevantes Forum für den Dialog zwischen Kirche, Wirtschaft und Politik mit den protestantischen Perspektiven zu sein, die evangelische Arbeitnehmer und Arbeitgeber einbringen. 

Welche Schwerpunkte wollen Sie in der Arbeit der Stiftung künftig setzen?

Wachs: Schauen wir uns drei Leitgedanken an: Zunächst ist da die Aufgabe, im technologischen wie gesellschaftlichen Umbruch bei geringer werdenden Ressourcen ein relevantes Arbeits- und Geschäftsmodell für die Akademie zu haben. Wir werden in Zeiten knapper werdender Ressourcen das Thema Relevanz deklinieren müssen. Für relevante Projekte hat sich und wird sich immer Geld finden lassen. Ich bin sicher, dass wir hier als Evangelische Akademie und Evangelische Kirche noch viele Möglichkeiten haben. Die gilt es weiterzuentwickeln und wo nötig neu zu erarbeiten. 

Zweitens gilt es, die vorhandenen Ressourcen möglichst effektiv einzusetzen. Welchen Nutzen können unsere Mittel auch beim Einwerben von Drittmitteln erzielen? Können wir als Stiftung Projekte anschieben, die sich dann in angemessener Zeit etablieren und anders refinanzieren können? In welchen Feldern strahlt die Arbeit der Akademie besonders aus? Können wir dort unsere Mittel fruchtbringend einsetzen? 

Damit sind wir beim dritten Gedanken: Wie können wir die Besonderheit dieser Akademie unterstützen? Sie ist gleichzeitig Hauptstadt-Akademie und hat andererseits eine zentrale Aufgabe im ländlichen Raum. Welche Leuchttürme können wir in beiden Bereichen fördern? Können wir Pilotprojekte setzen, die sich in anderen Regionen dann perpetuieren lassen? Was sind die Themen, die aus dem Auftrag der Akademie sowohl für den Hauptstadt-Dialog als auch für die Oberlausitz relevant sind? Was sind die Felder, in denen protestantische Positionen besonders wirksam werden müssen? Und wie können wir dann bei der Finanzierung behilflich sein, als Kontaktplattform und mit Geld? 

All das bedeutet aus meiner Sicht auch, dass wir die Silos verlassen und uns auch als Unterstützer der Akademien-Landschaft in Deutschland miteinander vernetzen und ins Gespräch kommen.

Mit alledem können wir in dieser Zeit vermutlich nützlich sein.

Was bedeutet es für Sie, protestantisch zu sein?

Wachs: Freiheit und Verantwortung sind für mich die unterscheidenden Grundlagen des Protestantismus. Mir ist der Dualismus von Freiheit und Verantwortung (Galaterbrief 5,1) mit seinem Gestaltungsraum Glaubens- und Lebensbasis. Und gleichzeitig bin ich wie wir alle aus Gnade erlöst (Epheserbrief 2,8). Das beides zusammen trägt mich. Zudem bedeutet protestantisch sein auch, musikalisch Gott die Ehre zu geben. Da ist es ein besonderer Segen, als Glied der Leipziger St.-Thomas-Gemeinde mit dem Thomanerchor und dem Werk Johann Sebastian Bachs verbunden sein zu dürfen. Ohne seinen protestantischen Hintergrund ist das Werk Bachs kaum zu verstehen. Mit Friedrich Nietzsches Worten: „Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium.“ Und so soll auch Akademiearbeit wirken. 

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