Predigt zur Tagung „Gewissheit im Widerstand - Adam von Trott zum 100. Geburtstag“

„Gewissheit im Widerstand - Adam von Trott zum 100. Geburtstag“

Dr. Rüdiger Sachau predigt auf der Tagung

Predigt von Dr. Rüdiger Sachau in der Französischen Friedrichstadtkirche am 14. Juni 2009

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Christus spricht zu seinen Jüngern:
Wer euch hört, der hört mich;
und wer euch verachtet,
der verachtet mich.
(Lukas 10,16)

Liebe Schwestern und Brüder,
glaubwürdig ist für mich jemand, der das auch tut, was er sagt. Überzeugend sind für mich Menschen, die innere Sicherheit und Gewissheit ausstrahlen. Das gilt für den christlichen Glauben, das gilt für jedes Engagement in der Politik, in der Gesellschaft, das gilt auch für unsere Beziehungen und unser Zusammenleben. Nur, wenn wir auch das tun, was wir glauben, sind wir glaubwürdig. Wenn wir aber tun, was wir als richtig und wahr erkannt haben, werden wir nicht nur Zustimmung, sondern ebenso Widerspruch ernten.
Ich möchte Ihnen heute in sieben Schritten von einem Menschen erzählen, der mit großer innerer Gewissheit das gelebt hat, was er als Wahrheit erkannt hat. An seinem Leben können wir erkennen, was das Christuswort, der Wochenspruch dieser Woche, bedeutet: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich.“

1. Adam von Trott
Es ist die Geschichte von Adam von Trott; in zwei Monaten ist sein 100. Geburtstag. Aber sein Leben wurde schon wenige Tage nach seinem 35. Geburtstag abgeschnitten. Er wurde hingerichtet, hier in Berlin, in Ploetzensee, weil er gegen die Nazis und ihre Diktatur gearbeitet hat. Und hier in Berlin, auf Schwanenwerder, vor der Evangelischen Tagungsstätte steht eine Stele, die an ihn erinnert: Adam von Trott-Haus. Gestern lag ein Strauß roter Rosen davor, darüber habe ich mich gefreut.
Wenige haben auf ihn gehört, viele haben ihn verachtet, er hat seine Wahrheit und die Treue zu ihr mit dem Tod bezahlt. Und doch können auch wir heute seine Stimme hören, und uns auf die Spuren der Wahrheit begeben.
Adam von Trott stand an der Seite von Stauffenberg im Zentrum der Verschwörer, die mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 dem Terror und dem Krieg endlich ein Ende machen wollten.
Er war ein zutiefst ziviler Mensch, Zeit seines kurzen Lebens hat er als Jurist darüber nachgedacht, wie ein friedliches Europa, eine faire Weltordnung möglich sei. Er hatte das Glück, als junger Mann bereits internationale Erfahrungen sammeln zu können, er studierte in England, war ein Jahr in China, verkehrte in Amerika.
Zuletzt wurde er Diplomat im Auswärtigen Amt, getarnt als Nazi spielte er ein gefährliches Doppelspiel, um den Erkenntnissen zu folgen, die er als Wahrheit gesehen hatte: Ein besseres Deutschland, keine Gewalt, Frieden zwischen den Völkern, Gemeinschaft innerhalb Europas. Diese uns so vertrauten und selbstverständlichen Ziele waren zwischen 1933 und 1945 nur wenigen zugänglich. Es waren sehr wenige, zu wenige, die so dachten und noch weniger, die danach handelten.

2. Kein Gehör gefunden
Adam von Trott wollte Deutschland dienen, den Krieg beenden und Frieden ermöglichen. Er wusste um die Gefahr und scheute sie nicht, immer wieder luden ihn die Freunde ein, in Amerika und England zu bleiben. „Es gibt genug gute Deutsche im Ausland“ hat er geantwortet, „innerhalb Deutschlands gibt jeder Einzelne unter Umständen den Ausschlag …“
Er liebte seine Heimat und kämpfte gegen die Nazis. Das haben viele seiner Freunde im Ausland nicht verstanden. Manche wandten sich von ihm ab. Das die Nazis ihm nicht zuhörten, damit konnte er umgehen, auch wenn es beschwerlich war. Viel schmerzlicher war es aber, gute Freunde zu verlieren, weil sie die Wahrheit nicht verstanden, für die er lebte. Das Leben in der Wahrheit macht einsam, denn nur klein ist die Gruppe derer, auf die man sich verlassen kann. Jesus hat seine Jünger darauf vorbereitet. Unser Wochenspruch steht im Zusammenhang der Aussendung von 72 Jüngern durch Jesus, die er zwei und zwei ausschickt. Die ersten Verse des Abschnittes lauten: „Die Ernte ist groß, aber der Arbeiter ist weniger.“ Und weiter heißt es: „Siehe, ich sende euch wie Lämmer mitten unter die Wölfe.“
Wer sich senden lässt, auch unter die Wölfe, dem gilt die Zusage Jesu: „Wer euch hört, der hört mich, und wer euch verachtet, der verachtet mich.“ Seine Zusage gilt denen, die es wagen, die sich auf den Weg begeben. Vielleicht mit Furcht und Zittern - aber sie gehen.
Diese Erfahrung teilen einige ältere unter uns, die schon Erwachsene während der NS-Diktatur waren. Und ähnliche Erfahrungen kennen auch die unter uns, die dem SED-Regime nicht gefolgt sind, sondern leise und laut ihren Widerstand gelebt haben. Wir alle leben gegenwärtig in einem demokratischen Land in einem friedlichen Europa, das ist eine weltgeschichtlich seltene und glückliche Zeit. Dafür wollen wir dankbar sein und alles dafür tun, dass es auch für kommende Generationen so bleibt. Aber zugleich leben auf unserer einen Erde zahllose Menschen in Angst und Schrecken, das kann uns nicht ruhen lassen.

3. Gewissheit im Widerstand
Adam von Trott war, trotz seiner Jugend, der „Außenpolitiker“ des Widerstands gegen die verbrecherische Herrschaft der Nazis. Bei ihm liefen viele Fäden zusammen. Nach dem misslungenen Attentat auf Hitler hatte er noch Möglichkeiten gehabt, sich ins Ausland abzusetzen, er verzichtete darauf und wurde verhaftet.
Im Prozess vor dem Volksgerichtshof fragte ihn der furchtbare Ankläger Freisler im Verhör: „Also sie haben sich gedacht, gewaltsam heißt: den Führer ermorden. Anzugreifen oder auszuschalten, was heißt es denn sonst!?“ Und Adam von Trott antwortet: „Gewiss.“ Liebe Schwestern und Brüder, er antwortete nur: „gewiss“.
An diesem Wochenende haben wir uns mit seinem Leben auf einer Tagung der Evangelischen Akademie befasst. Seine Frau, seine Töchter, Verwandte und Freunde waren dabei, mit ihnen feiern wir diesen Gottesdienst. „Gewissheit im Widerstand“ haben wir unsere Tagung genannt. Was aber macht einen Menschen gewiss, sicher, in sich ruhend? Was hat Adam von Trott in den Widerstand gegen die Nazis geführt?
Die von innen getragene Gewissheit, die Adam von Trott in jenem Augenblick, in dem alles verloren war, zeigen konnte, diese Gewissheit im Widerstand, angesichts des schreienden und geifernden Anklägers, sie berührt mich. Freisler, der Ankläger, hat den Klang der Wahrheit nicht hören können und wollen. Für ihn stand das Todesurteil schon vorher fest. Was von Trott sagte, strafte er mit seiner Verachtung. „Und wer euch verachtet,“ spricht Christus zu seinen Jüngern, „der verachtet mich.“

4. Quellen der Gewissheit
Die Gewissheit, die Adam von Trott am Ende ausstrahlte, war keine Selbstverständlichkeit und darum frage ich nach ihren Quellen. Woher kam die innere Kraft? Und: hätte ich sie gehabt?
Gewissheit ist nicht Sicherheit, im lateinischen wird das schön unterschieden: Certitudo und Securitas. Securitas kann eine Sicherheitsfirma heißen, oder auch eine Versicherung. Da geht es um die äußere Sicherheit. Aber Gewissheit, Certitudo, die kommt von innen. Sie kommt aus dem Vertrauen. Wer in ihr lebt, wird von der Verachtung derjenigen nicht mehr erreicht, die nicht hören wollen und sich der Wahrheit verweigern.
Zum einen lebt Gewissheit aus den Vorbildern unseres Lebens, den Werten, die uns orientieren und aus der Liebe, die wir erfahren haben. Von Menschen und von Gott. Dieses alles macht uns fähig, der inneren Stimme zu gehorchen und sie nicht zu unterdrücken, selbst wenn uns Verfolgung, Verachtung und Missverstehen drohen. Von Stauffenberg, Freund, Mitverschwörer und Attentäter, schreibt einmal, dass der Verrat der inneren Stimme am schlimmsten wäre.
Zum anderen wird Gewissheit gegen den Zweifel errungen, in Auseinandersetzung mit den vielen widersprüchlichen Stimmen in mir. Gewissheit, davon bin ich überzeugt, ist immer das Ergebnis eines inneren Ringens um die Wahrheit. Sie ist niemals Besitz, sondern wird jeden Tag neu gewonnen.
Ein anderer Diplomat, vier Jahre vor Adam von Trott in einer schwedischen Adelsfamilie geboren, UN-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger, 1961 ermordet, Dag Hammarskjöld, schreibt über diesen Weg der Auseinandersetzung: „Die längste Reise ist die Reise nach innen“. Ich glaube, wären sie einander begegnet, Adam von Trott und Dag Hammarskjöld, sie hätten sich verstanden, nicht nur im politischen Einsatz, sondern in der intensiven Suche nach Gewissheit.

5. Gemeinschaft und Erkenntnis
Die Gewissheit, die richtigen Ziele zu verfolgen, in der Wahrheit zu leben, hat Adam von Trott, soweit wir es wissen können, bis in den Tod begleitet.
Er hat seine eigenen Interessen und Bedürfnisse den Notwendigkeiten der Gemeinschaft, wie er sie sah, untergeordnet. Auf die Frage, was er denn unter Christentum verstehe, hat er gesagt: „Erleuchtung und Brüderlichkeit“ (Nach Eugen Gerstenmaier).
So wollte er glaubwürdig leben. Bereits 1935 schreibt er: „Wenn wir uns schon mit einer Epoche abfinden müssen, in der die größere Wahrscheinlichkeit für ein vorzeitiges Lebensende steht, sollten wir doch wenigstens dafür sorgen, dass es einen Sinn hat zu sterben – gelebt zu haben.“
Dieses Wort hängt in Kryzowa / Kreisau in Polen in dem Raum, in dem sich der sogenannte Kreisauer Kreis des deutschen Widerstandes einige Mal traf. Tief in Schlesien, auf dem Gut der Familie von Moltke versammelten sie sich, um sich miteinander zu beraten und Pläne zu fassen. Der Raum, in dem dieser Satz von Trotts hängt, war das Esszimmer im Berghaus, ein Tisch aus vier Vierteln steht heute in der Mitte, symbolisch für die unterschiedlichen Ecken aus denen die Verschwörer kamen: Konservative und Sozialisten, Gewerkschafter, evangelische und katholische Christen. Beim Essen, so war die Regel, wurde geschwiegen. Das hatte ganz einfach Sicherheitsgründe, damit niemand etwas mithörte, es war aber auch eine Form des sich Sammelns und Konzentrierens. Es ging auch um das gemeinsame Lauschen auf den inneren Auftrag und seine Folgen.

6. Gott hören
„Wer euch hört, der hört mich.“ Ich glaube nicht, dass Adam von Trott diese biblische Zusage für sich in Anspruch genommen hätte. Er hatte eine deutliche und gesunde Abneigung gegen alle Frömmelei, sein Blick ging durchaus über den christlichen Horizont hinaus. Aber darum geht es gar nicht. Sondern so wie Jesus sich finden lassen will in den Ärmsten und Schwächsten – „was ihr getan habt einem von meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan“ (Mt. 25,40) – so will er sich auch in den Boten der Wahrheit finden lassen: Wer euch hört, hört mich, und damit Gott.
Gott spricht auch durch Menschen, die sich nicht ständig auf ihn berufen. Seine Wahrheit kommt auf vielerlei Wegen, die einzige Frage ist, ob wir sie erkennen, ob wir heute seine Boten hören. Hören wir auf die Stimmen Gottes in unserer Umgebung und Welt? Oder überhören wir, weil es uns zuviel wird, weil wir uns überfordert fühlen, weil die Probleme so groß und wir so klein sind? Hören wir weg, weil es unangenehm ist, sich zu ändern, den Standard zu senken und zu verzichten? Hören wir weg, weil unsere liebgewonnenen Gewohnheiten, unsere theologischen Ansichten und unsere religiösen Überzeugungen möglicherweise revidiert werden müssten?

7. Hoffnung und Widerstand
Die Hoffnung der Christen ist nicht das Kalkül auf den guten Ausgang, es gibt immer gute Gründe, alle Hoffnung fahren zu lassen, die christliche Hoffnung ist wie eine Wette gegen den Augenschein.
Und oft wird sie nicht erfüllt. Das ist schrecklich und bleibt auch unerklärlich. Dafür gibt es keinen Trost, außer einem, dass wir wegen der Untröstlichkeit der Welt auch von einer Untröstlichkeit Gottes sprechen müssen. Die Hoffnung der Christen überschreitet die Gesetze dieser Welt, die nur Sicherheit will, aber nicht Gewissheit ertragen kann.
„Wenn etwas jesuanisch ist“, schreibt Fulbert Steffensky (Feier des Lebens, S. 128), „dann die aus den geläufigen Daten nicht ableitbaren Prognosen für die Zukunft des Menschen: Den Sündern gehört die Zukunft Gottes, die Hungernden werden satt, die Weinenden werden lachen, die Blinden werden sehen, die Lahmen werden gehen, die Toten werden leben. Dies ist die Frechheit Jesu gegen die geltenden Annahmen und die herrschenden Gesetze seiner Gesellschaft.“
Wer so gewiss ist, riskiert auch den Bruch mit den geltenden Auffassungen einer Gesellschaft, manchmal auch der Kirche. Adam von Trott und seine Freunde haben das getan. Wer gewiss ist, kann zum Überbringer des Wortes Gottes werden, ohne das Wort Gott einmal in den Mund zu nehmen, ohne ständige Zitate aus der Bibel, ohne Frömmigkeit und Liturgien. Darum lohnt es sich, auf Menschen wie Adam von Trott zu hören, die nicht die Vorschriften wiederholen, die wir alle kennen, sondern die der Spur ihrer inneren Gewissheit folgen und nach ihr leben.

Zum Schluß: Mut im Handeln
„Es ist Zeit, dass etwas getan wird, aber wer den Mut hat, dies zu tun, der muss es in der Erkenntnis tun, dass er in die deutsche Geschichte als Verräter eingehen wird. Tut er es nicht, dann wird er Verräter sein vor seinem eigenen Gewissen.“ So schrieb Claus Schenk Graf von Stauffenberg vor dem 20. Juli 1944, dem Attentat auf Hitler.
Es ist Zeit, dass etwas getan wird. Meine geistlichen Lehrer haben mir einen Satz fürs Leben mitgegeben, an den ich oft denke. Sie haben mir gesagt, dass es keine neuen, keine wirklich wichtigen neuen Erkenntnisse gibt, bevor wir nicht die alten, die uns schon zuteil geworden sind, in unserem Leben umgesetzt haben. Diese Einsicht deckt sich mit einer Einsicht Adam von Trotts, dass all unsere Einsichten, auch die dieser Predigt und dieses Gottesdienstes, wenn sie Wahrheit sind und nicht nur schöne Gedanken bleiben, uns zum Handeln drängen sollen.
Von Trott schreibt 1943 in einem Brief an seine Frau Clarita: „Und ich glaube, für uns Menschen gibt es keine Wahrheit, die … nicht zugleich von unserem natürlichen Wesen ganz Besitz ergreifen müsste … vom Gefühl über das Empfinden und Vorstellen zum Denken und Wollen aufgestiegen ist.“ (S. 210) Ja, so ist es, der Mut wächst im Handeln. Gott hat keine anderen Hände als unsere, keinen anderen Mund, als unseren.
Liebe Gemeinde, wir erinnern uns heute an Adam von Trott, und wir sind dankbar, dass Gott uns immer wieder seine Wahrheiten hören und finden lässt, auch wenn sie nicht immer gleich Wurzeln schlagen, auch wenn sie missachtet wird und mit ihr ihre Überbringer. Auch heute ist sie da, ist sie in der Welt, kann von uns gefunden und gehört werden und zur Gewissheit in unserem Leben werden, so dass wir recht handeln. Und manchmal kommt die Wahrheit auch durch unseren Mund in die Welt, und wir wundern uns und staunen.
Dann spricht Christus leise, ob im Volksgerichtshof oder in unserem Alltag: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“
Amen

 

Adam von Trott zu Solz (9. August 1909 – 26. August 1944) war ein früher Gegner des nationalsozialistischen Regimes und einer der aktivsten und entschiedensten Widerstandskämpfer. Er gehörte zum Kreisauer Kreis, in dem Persönlichkeiten unterschiedlicher politischer und sozialer Prägung Konzeptionen für die Zeit nach dem angestrebten Ende der Diktatur entwickelten. Adam von Trott baute ein umfassendes Netzwerk auf und bemühte sich unter großer Gefahr auf zahlreichen Reisen um Unterstützung des deutschen Widerstands aus dem Ausland. Er befürwortete die Beseitigung Hitlers als Voraussetzung für den Sturz des Regimes und unterstützte das Attentat seines Freundes Claus von Stauffenberg, mit dem er eng zusammenarbeitete. Nach dem 20. Juli 1944 wurde Adam von Trott verhaftet, vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und in Berlin-Plötzensee hingerichtet. Er wurde 35 Jahre alt.

 

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