Europa fühlen

Europa fühlen

Kommentar von Claudia Schäfer

© Unsplash / Waldemar Brandt

Das europäische Friedensnarrativ trägt nicht mehr? Studienleiterin Claudia Schäfer ist skeptisch. Sie schildert drei persönliche Perspektiven, die dafür sprechen, dass Erzählungen vom Frieden universell, aktuell und stark sein können, wenn sie geteilt werden. Lesen Sie hier den Kommentar von Claudia Schäfer:

1925 geboren, mit 17 in die Wehrmacht, mit 20 in russische Gefangenschaft, mit 25 zurück in das Dorf nahe der französischen Grenze. Das war 1950, alle waren längst am „schaffe“ und erst 40 Jahre später fängt die Enkelin an zu fragen. Für sie öffnet er den großen Schrank mit Büchern und Fotos. Unmengen Historisches über das 20. Jahrhundert, einiges davon in Russisch. „Und ich habe das wirklich geglaubt, ich habe geglaubt, dass alle Menschen in den Ländern östlich von hier weniger Wert sind als ich, dass sie bedrohlich sind, dass ich gegen sie kämpfen muss. Wenn sich Menschen nicht kennen, besuchen, erzählen können, wenn sie sich die anderen nur vorstellen und sich erzählen lassen, wer ihre „Feinde“ sein sollen – so fängt es an. Lass dir das nie erzählen! Von niemandem!“

Die offenen Grenzübergänge nach Frankreich sind meine kindliche Realität, die Osterweiterung der EU das prägende Erlebnis meiner Politisierung. Mehrere Wochen reise ich 2010 durch ganz Polen, um in Regionalverwaltungen Interviews zur Europäisierung ihrer Arbeit zu führen. Bei fast jedem Gespräch spielt es auf die eine oder andere Art eine Rolle, dass da jemand mit deutschem Akzent Polnisch spricht, landet das Gespräch bei den Verheerungen, die der Krieg bei den Menschen dieser Regionen hinterlassen hat.

2019 sitze ich mit drei jungen Menschen aus Syrien bei der Planung eines Workshops, als mir einer von Ihnen ein Video des Hauses seiner Familie in Dara zeigt. Seit gestern weiß er, dass von dem Haus nichts mehr übrig ist.

Das Friedensnarrativ trägt nicht mehr, lese ich, die Menschen brauchen neue Erzählungen, um die europäische Integration, wirtschaftliche Zusammenarbeit und demokratische Standards auch emotional zu verstehen. Wirklich?

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