Israelbezogener Antisemitismus

Israelbezogener Antisemitismus

Diskussion um die BDS-Bewegung

Weduwen und Brezger

© Jutta Weduwen

Jutta Weduwen und Jan Brezger

Antisemitismus hat viele Gesichter. Eine besondere Erscheinungsform ist der israelbezogene Antisemitismus. Nicht jede Kritik an israelischen Politiker*innen oder Akteur*innen ist antisemitisch, aber es können sich antisemitische Haltungen darin verbergen, sagen Jutta Weduwen und Jan Brezger.

Antisemitismus zeigt sich in Deutschland seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges selten(er) offen und wird stattdessen häufig(er) über Umwege kommuniziert. Mit dem Ende des Nationalsozialismus wurde Antisemitismus öffentlich tabuisiert, aber das antisemitische Ressentiment verschwand dadurch selbstverständlich nicht, es manifestiert sich seitdem oftmals auf (mehr oder weniger) verdeckte Weise. Zu den häufigsten Formen der antisemitischen Umweg-Kommunikation zählt der sekundäre Antisemitismus, der nicht trotz, sondern wegen Auschwitz Ausdruck findet. Dazu gehören Holocaust-Leugnungen, Geschichtsrevisionismus und auch Vorwürfe gegenüber Jüdinnen und Juden, selbst die Schuld an ihrer Verfolgung zu haben, das Ausmaß der Schoa zu übertreiben und Profit aus der Erinnerung an die Schoa ziehen zu wollen.

Auch Kritik am israelischen Staat beziehungsweise der israelischen Regierung bietet dem antisemitischen Ressentiment eine Möglichkeit, sich zu manifestieren. Wir hören häufig, man dürfe Israel nicht kritisieren. Gleichzeitig stellen wir fest, dass Israel ständig kritisiert wird.

Kritik an Israel beziehungsweise an der israelischen Regierung, an einzelnen israelischen Politiker*innen, an Entscheidungen des Parlaments oder auch am Vorgehen des israelischen Militärs (tatsächlich beginnt oftmals das Problem bereits bei der mangelnden Spezifizierung des Adressaten der Kritik) kann auf verschiedene Art und Weise antisemitisch sein. In vielen Fällen ist dies offensichtlich, insbesondere dann, wenn bekannte antisemitische Motive und Argumentationsmuster verwendet werden. Ein klarer Fall sind beispielsweise Karikaturen, die sich tradierter antisemitischer Bildsprache und Stereotype bedienen, um etwa den israelischen Ministerpräsidenten oder das israelische Militär zu kritisieren. Sie werden dort mit Davidstern, Kippa oder Schläfenlocken als blutrünstig, die Welt beherrschend, mit grimmiger Miene und großen Nasen dargestellt. Diese Karikaturen, die an den Stürmer erinnern, tauchen nicht nur in rechtsradikalen oder islamistischen Medien auf, sondern immer mal wieder auch in liberalen Zeitungen wie zum Beispiel in der New York Times oder auch in der Süddeutschen Zeitung. Ebenfalls eindeutig antisemitisch sind auf Israel bezogene Verschwörungstheorien, wie sie beispielsweise nach den Anschlägen am 11. September 2001 auftauchten oder auch mit Blick auf eine vermeintliche Kontrolle der Medien und der Finanzwelt existieren.

Kritik oder Antisemitismus?

Andere Fälle erscheinen auf den ersten Blick jedoch weniger offensichtlich und in diesen Situationen ist oft unklar, ob und inwiefern es sich bei der jeweiligen Kritik um Antisemitismus handelt. Nicht selten besteht Unsicherheit sowohl bei jenen, die die Kritik äußern, als auch bei denen, die auf sie reagieren. Dabei kann der internalisierte Wunsch, selbst kein*e Antisemit*in zu sein, einer Selbstreflexion und einem kritischen Lernprozess durchaus im Wege stehen. Für viele Menschen ist es ein integraler Bestandteil ihres Selbstbildes, nicht antisemitisch zu denken beziehungsweise sich aktiv gegen Antisemitismus zu positionieren. Gerade deshalb sollte man sich jedoch auf eine kritische Selbstreflexion der eigenen Motive für Kritik an Israel sowie der eigenen Positionen und Argumente einlassen.

Für die Analyse der Kritik an israelischen Akteur*innen bietet sich der sogenannte „3-D-Test“ an, der nach Delegitimierung, Dämonisierung und Doppelstandards fragt:

  • Zielt die zu untersuchende Kritik darauf ab, Israel zu delegitimieren? Ein paradigmatisches Beispiel für die Delegitimierung ist die Leugnung des Existenzrechts des Staates Israel, etwa indem Israel als „künstliches Gebilde“ oder als „koloniales Projekt“ diskreditiert wird.
  • Läuft die zu bewertende Kritik darauf hinaus, Israel zu dämonisieren? Ein prominentes Beispiel für die Dämonisierung ist der Vorwurf, der israelische Staat ermorde Kinder („Kindermörder Israel“), der an alte antisemitische Motive aus dem christlichen Antijudaismus anknüpft. Aber auch der Vergleich von israelischer Politik mit dem Nationalsozialismus dient der Dämonisierung Israels (und zugleich der Relativierung der NS-Verbrechen sowie der Abwehr von Verantwortung).
  • Und schließlich ist zu prüfen, ob die jeweilige Kritik Doppelstandards verwendet und den israelischen Staat oder deren Repräsentant*innen an strengeren Maßstäben misst als andere Staaten.

Der „3-D-Test“ ist ein gutes Instrument, um problematische Äußerungen und Argumentationsmuster zu erkennen. Diese Äußerungen können antisemitisch motiviert sein. Ob es sich aber in jedem Fall um Antisemitismus handelt oder um eine politisch problematische, verkürzte oder einseitige Aussage, lässt sich nicht immer herausstellen. Hinter einer problematischen Aussage kann ein ideologisches Weltbild stehen oder auch Unwissenheit. Dies gilt es bei der pädagogischen Arbeit und bei politischen Interventionen zu bedenken. Gleichzeitig darf dieser Vorbehalt nicht davon abhalten, antisemitische Aussagen als solche beim Namen zu nennen.

Im Sommer haben wir in Deutschland aus Anlass eines Bundestagsbeschlusses polarisierte Diskussionen über die BDS-Bewegung erlebt. ASF distanziert sich deutlich von der internationalen BDS-Bewegung gegen Israel. Die Bewegung wurde 2005 gegründet und ruft zu Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen gegenüber Israel auf. Die Forderungen sind teilweise vage (u. a. Beendigung der „Kolonisation allen arabischen Landes“), und auch die Unterstützer*innen bilden eine Bandbreite an politischen Forderungen und Aktionen ab.

Vor dem Hintergrund der Geschichte ist es aus unserer Sicht unsensibel und unverhältnismäßig, zu einem Boykott gegenüber Israel und Israelis aufzurufen, da dies Parallelen zum Boykott gegenüber Juden im Nationalsozialismus hervorruft. Die BDS-Bewegung ist in ihrer Konfliktanalyse einseitig antiisraelisch, die historisch-politische Komplexität des israelisch-palästinensischen beziehungsweise israelisch-arabischen Konfliktes wird nicht berücksichtigt. Da die BDS-Kampagne meist auf Israel in seiner Gesamtheit zielt, unterscheidet sie nicht zwischen der Gesamtbevölkerung und einzelnen Akteur*innen und Institutionen und es wird nicht einbezogen, dass es auf palästinensischer respektive arabischer Seite Haltungen und Handlungen gibt, die den Konflikt schüren und Frieden verhindern.

Es ist verschiedentlich herausgestellt worden, dass die BDS-Bewegung von Antisemit*innen genutzt wird, etwa bei Boykott-Tagen an Universitäten, die sich schnell allgemein gegen Jüdinnen und Juden richten und dass auch die Gründung der Kampagne von Antisemit*innen mitgetragen wurde. Wir haben BDS-Aktivist*innen erlebt, die in ihrer Kritik an Israel unverhohlen antisemitisch agierten, diesen Menschen gibt die BDS-Bewegung eine Bühne.

Darüber hinaus sind auch Ziele der BDS-Bewegung als äußerst problematisch und israelfeindlich zu bewerten. Wer ein „Ende der Kolonisation allen arabischen Landes“ fordert, lässt bewusst Spielraum für eine breite Interpretation dieser Forderung, die den gesamten Staat Israel (auch in den Grenzen von vor 1967) als „koloniales Projekt“ diskreditiert und somit dem israelischen Staat ein Recht auf Existenz abspricht. Und wer zusätzlich ein Rückkehrrecht für alle palästinensischen Flüchtlinge fordert (der Flüchtlingsstatus wird im Falle der Palästinenser*innen auch an alle folgenden Generationen weitergegeben), der zielt faktisch auf ein Ende Israels als Staat mit mehrheitlich jüdischer Bevölkerung. Die Regelung einer Rückkehr beziehungsweise Kompensation der palästinensischen Flüchtlinge, denen Unrecht geschehen ist, ist eine große Herausforderung. Die BDS-Bewegung blendet mit ihrer einfachen Forderung der Rückkehr aller palästinensischen Flüchtlinge diese Komplexität aus.

BDS-Aktivist*innen müssen nicht immer zwangsläufig über ein antisemitisches Weltbild verfügen. Aber die Bewegung agiert einseitig und häufig wird die BDS-Kampagne von Antisemit*innen als Plattform genutzt.

Es gilt, achtsam gegenüber antisemitischen Motiven und Feindbildern zu sein, auch dann, wenn sie über Umwege kommuniziert werden. Es gilt, diese in der Diskussion zu entschlüsseln und zu benennen, ohne in nicht zielführenden Vorwürfen oder Bloßstellungen zu verharren. Unsere Betrachtungen sind insbesondere eine Einladung zur (selbst-) kritischen Reflexion.

Jutta Weduwen studierte in Hamburg, Jerusalem und Berlin Soziologie. Seit 2012 ist sie Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste. Sie ist Mitglied im Sprecher*innen-Rat der Bundesarbeitsgemeinschaft Kirche + Rechtsextremismus, im Ökumenischen Vorbereitungsausschuss der Interkulturellen Woche sowie im Vorstand von Xenion e.V.

Dr. Jan Brezger studierte in Berlin und Baltimore Politikwissenschaften. Seit 2018 ist er Referent für die Freiwilligenarbeit in Israel und Großbritannien bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.

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