Der Vollzug der „Osterweiterung” hat das in den 90er Jahren für die deutsch-polnischen Beziehungen dominierende Paradigma einer „Interessengemeinschaft” – Deutschland als Anwalt Polens bei der Integration in die westlichen Institutionen NATO und EU – obsolet werden lassen. Besonders seit dem Irakkrieg zeigte sich, dass die außenpolitischen Leitlinien und strategischen Optionen in Polen und Deutschland eher wieder divergieren als konvergieren. Hat die EU-Erweiterung diesen Entfremdungsprozess gestoppt?
Ein Jahr nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union wollen wir eine Zwischenbilanz ziehen. Ein erster Eindruck besagt, dass die EU für Polen eine Erfolgsstory ist. Das Land hat in vielen Bereichen profitiert. Außenpolitisch hat Polen durch sein vorbildliches Krisenmanagement in der Ukraine Respekt und Statur gewonnen. Das Referendum über die EU-Verfassung scheint – anders als in Frankreich – kaum noch in Gefahr.
Dagegen hat Deutschland, traditionell gemeinsam mit Frankreich eine europapolitische Triebkraft, diese Rolle weitgehend eingebüßt. Der Stabilitätspakt wurde zu Grabe getragen, der Lissabon-Prozess klammheimlich abgeschrieben, die Dienstleistungsfreiheit auf die lange Bank geschoben. Gegenüber den neuen EU-Ländern setzt sich erneut eine Politik der Abschottung durch.
Somit ergibt sich anno 2005 ein paradoxes Bild: Von Deutschland mit seiner immer noch überlegenen Wirtschaftsleistung gehen kaum noch Impulse für die europäische Einigung aus. Eine ängstliche Abwehrhaltung setzt sich mehr und mehr durch. In Polen dagegen entwickelt sich nach einer Phase der Unsicherheit eine Dynamik der Zuversicht. Zudem ist zu erwarten, dass nach dem Tode von Johannes Paul II. eine Besinnung auf dessen geistiges Erbe einsetzt und sich die Überzeugung festigt, dass er mit seinem beharrlichen Eintreten für Europa recht hatte.
Die sich aus der Analyse ergebenden Fragenkomplexe werden wir im zweiten Teil der Tagung diskutieren: Welche Interessen leiten die polnische und die deutsche Europa-Politik? Wie gehen wir – auf beiden Seiten – mit der innenpolitischen Instrumentalisierung außen- und europapolitischer Themen um? Sind Deutschland und Polen fähig, eine gemeinsame Ostpolitik (besonders gegenüber der Ukraine) zu entwickeln? Lassen sich unterschiedliche Vorstellungen für das gemeinsame Europa miteinander in Einklang bringen? Schließlich: Welche langfristige Orientierung für die Europapolitik können wir – auch in Deutschland – aus dem geistigen Erbe von Johannes Paul II. gewinnen?
Dazu laden wir Sie herzlich ein.
Ludwig Mehlhorn
Evangelische Akademie zu Berlin
Freitag, den 3. Juni 2005
17.00 Uhr Anmeldung
18.00 Uhr Abendessen
19.45 Uhr Die Erweiterung der Europäischen Union – das Ende der Interessengemeinschaft?
Ein Rückblick auf die Beziehungsgeschichte der 90er Jahre
Prof. Dr. Marek Zybura, Universität Breslau
Samstag, den 4. Juni 2005
ab 7.30 Uhr Frühstück
9.30 Uhr Polen in der Europäischen Union
Eine Zwischenbilanz ein Jahr nach der Erweiterung
Marzenna Guz-Vetter, EU-Kommission in Polen, Leiterin der politischen Abteilung
Kommentar: Przemyslaw Konopka, Stiftung Kreisau für Europäische Verständigung
11.00 Uhr Kaffeepause
11.30 Uhr Außenpolitik auf dem Prüfstand – wie verlässlich sind wir?
Eine wechselseitige Kritik
Dr. Piotr Buras, Willy-Brandt-Zentrum der Universität Breslau
Kommentar:
Ulrike Kind, Referentin für internationale Beziehungen der Evangelischen Studentengemeinde, Berlin
13.00 Uhr Mittagessen
15.00 Uhr Die Ukraine – ein neuer Partner in Europa
Eine Aufgabe für Polen und Deutschland bei der Entwicklung einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik?
Kai-Olaf Lang, Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin
Kommentar:
Peter Hilkes, Büro forumNET.Ukraine der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e.V., Berlin
16.30 Uhr Kaffeepause
17.00 Uhr„Europa muss mit zwei Lungen atmen”
Zum Umgang mit dem Erbe von Johannes Paul II. in Polen und Deutschland Wojciech PiÍciak
Tygodnik Powszechny Krakau
Winfried Lipscher, Theologe und Übersetzer, Berlin
19.00 Uhr Abendessen
20.30 Uhr „Römisches Tryptichon”
Winfried Lipscher liest aus seinen Übersetzungen der Dichtung von Karol Woyty≥a
Sonntag, 5. Juni 2005
ab 7.30 Uhr Frühstück
9.30 Uhr Morgenandacht
10.30 Uhr Polnische und deutsche Vorstellungen über die Zukunft Europas
Dr. Marek Cichocki, Europa-Zentrum Natolin bei Warschau
Joscha Schmierer, Planungsstab des Auswärtigen Amtes
Dr. Angelica Schwall-Düren, MdB, Vorsitzende der Deutsch-Polnischen Gesellschaft
Bundesverband e.V.
12.30 Uhr Mittagessen und Ende der Tagung