Seit Beginn des zweiten Tschetschenienkrieges im Herbst 1999 kommen Flüchtlinge aus Tschetschenien nach Europa, überwiegend junge Männer, Frauen und Kinder. Hunderttausende flohen vor der anhaltenden Gewalt in der kleinen Kaukasusrepublik. Zehntausende leben bis heute als Asylsuchende in europäischen Ländern, davon mehrere Tausend in Deutschland und mehrere Hundert in Berlin. Weitgehend zerstört sind in Tschetschenien nicht nur Wirtschaft, Infrastruktur, Wohnhäuser, Schulen und Krankenhäuser, gefährlich beschädigt ist inzwischen auch die traditionell gut funktionierende tschetschenische Zivilgesellschaft. Experten sprechen von der größten humanitären Katastrophe im Umfeld der OSZE.
Aufgrund der russischen Informationssperre um das Krisengebiet wissen wir in Deutschland wenig darüber, was in Tschetschenien wirklich geschehen ist und bis heute geschieht. Die zum großen Teil schwer traumatisierten tschetschenischen Flüchtlinge treffen in den Zufluchtsländern auf eine Bevölkerung, die selbst mit den Auswirkungen einer Wirtschaftskrise, mit Langzeitarbeitslosigkeit und Überschuldung zu kämpfen hat und kaum ermessen kann, aus welchem Inferno diese Flüchtlinge kommen.
Dadurch ist die Situation der Tschetschenen sehr viel schwieriger als beispielsweise die der Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien in den neunziger Jahren, die breite Unterstützung der deutschen Öffentlichkeit und bereits etablierte Netzwerke vorfanden, welche infolge jahrzehntelanger Arbeitsmigration von Landsleuten gewachsen waren. Umso mehr benötigen die tschetschenischen Flüchtlinge unsere Aufmerksamkeit.
Auf dieser Tagung werden wir über die Situation der tschetschenischen Flüchtlinge in Berlin und in Deutschland sowie über die Hintergründe der Fluchtbewegung informieren. Zusammen mit tschetschenischen Zeitzeuginnen und Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Politik wollen wir über die menschenrechtlichen Herausforderungen für europäische Diplomatie und Flüchtlingspolitik ins Gespräch kommen.
Dazu laden wir Sie herzlich ein.
Barbara Gladysch, Mütter für den Frieden
Ulrike Poppe, Ev. Akademie zu Berlin
Dr. Sonja Süß
9.15 Uhr Anmeldung und Kaffee / Tee
10.00 Uhr Begrüßung und Einführung
Ulrike Poppe, Evangelische Akademie zu Berlin
10.15 Uhr Informationen zur Ausstellung
"Tschetscheniens Kinder – Tschetscheniens Zukunft"
Barbara Gladysch, Mütter für den Frieden, Düsseldorf
10.30 Uhr Zur gegenwärtigen Situation in Tschetschenien
Vortrag: Anna Schor-Tschudnowskaja, Soziologin, Politikwissenschaftlerin, Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, Mitarbeiterin bei Memorial in St. Petersburg
11.30 Uhr Erfahrungsberichte:
Dr. Lipkhan Bazaeva , Mitarbeiterin bei Memorial in Inguschetien und Tschetschenien; Begründerin des Zentrums „Frauenwürde“ in Grosny, z.Z. Hamburg
Mainat Kourbanova, Journalistin, ehem. Korrespondentin der "Nowaja Gazeta" und der Radiostation "Swoboda" im Nordkaukasus, z.Z. Stipendiatin des „Writers in Exile“ – Programms, Berlin
Diskussion
Moderation: Barbara Gladysch
13.00 Uhr Mittagsimbiss
14.30 Uhr Tschetschenische Flüchtlinge in Deutschland
Die rechtliche Situation:
Barbara Esser, Ethnologin, Mitarbeiterin des Psychosozialen
Zentrums für Flüchtlinge in Düsseldorf
Bernward Ostrop, Rechtsanwalt, Vorsitzender von Marscha Doriyla –
Hilfsverein für tschetschenische Flüchtlinge e.V., Berlin
Die gesundheitliche und psychosoziale Situation:
Dr. med. Isa Abdusalamov, Unfallchirurg aus Tschetschenien, z.Z. Senftenberg
Dr. med. Sonja Süß, Psychiaterin und Psychotherapeutin, Berlin
Diskussion
Moderation: Imke Dierßen, Referentin für Europa und Zentralasien in der Abteilung Länder und Asyl bei amnesty international, Berlin
16.30 Uhr Kaffee- / Teepause
17.00 Uhr Was kann Europa tun?
M. Andreas Groß, Tschetschenien-Berichterstatter der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Straßburg (angefr.)
Klaus Ammann, Historiker, Journalist, Zürich
Sarah Reinke, Wiss. Mitarbeiterin der Gesellschaft für bedrohte Völker, Göttingen
Anna Schor-Tschudnowskaja
Moderation: Ulrike Poppe
18.30 Uhr Abendimbiss
19.30 Uhr „Lieber Muslim…“Dokumentarfilm, Deutschland 2005
Regie/Idee: Kerstin Nickig
Der Film dokumentiert die schwierige Situation tschetschenischer Flüchtlinge in Polen am Beispiel einer Familie, deren Mutter Sacita Briefe an ihren kleinen Sohn Muslim schreibt, um ihm die Situation ihrer Heimat, die Gründe ihrer Flucht und die völlige Unsicherheit ihrer Lebenslage für einen späteren Zeitpunkt zu erklären, wenn sie vielleicht nicht mehr lebt und er es verstehen kann.
Ende gegen 20.30 Uhr