„Wie, wenn Polen die Säkularisierungsthese widerlegte? Wie, wenn Polonia semper fidelis seiner katholischen Identität und Tradition treu bliebe und sich gleichzeitig erfolgreich in Europa integrierte, zu einem „normalen“ europäischen Land würde? (…) Ein modernes, religiöses Polen könnte vielleicht die säkularisierten Europäer dazu zwingen, ihre säkularistischen Annahmen zu überdenken und zu erkennen, dass nicht so sehr Polen hinter den modernen Trends hinterherhinkt, sondern dass es das säkularisierte Europa ist, das nicht Schritt mit der Entwicklung in der übrigen Welt hält.“
José Casanova
Viele Menschen im alten Europa glauben immer noch, die fortschreitende Säkularisierung sei ein unausweichlicher und unumkehrbarer Prozess. Das Christentum hat in der pluralen Lebens- und Arbeitswelt seine „kulturelle Hegemonie“ weitgehend eingebüßt. Religion – in seiner christlichen Gestalt einst der Kern europäischer Identität – löst heute vielfach Irritation aus. Es gibt aber auch Indizien, dass dieser Trend gestoppt ist. Aus der Politik wird der Ruf lauter, Religion als Ressource für die Stiftung von Lebenssinn und sozialem Zusammenhalt zu aktivieren. Die Diskussion um eine „Leitkultur“ belegt die Sehnsucht nach Orientierung in der verwirrenden Vielfalt moderner Lebenswelten.
Aufschlussreich ist auch die Entwicklung in Polen. Während der kommunistischen Ära behaupteten sich Religion und Kirche sowohl gegenüber den Säkularisierungsprozessen der Moderne als auch dem staatlich verordneten Atheismus. Erst mit dem Übergang zu Demokratie und Marktwirtschaft wuchs die Sorge, in den Sog von Entchristlichung zu geraten. Die Antworten auf diese neue Situation fallen unterschiedlich aus. Die einen verbinden mit der Öffnung nach (West)europa die Gefahr von Materialismus, Liberalismus und Sittenverfall und reagieren darauf mit einem starren Traditionalismus. Die anderen sehen im Ende der Spaltung Europas eine Chance zur spirituellen Erneuerung nicht nur Polens, sondern des gesamten Kontinents.
In einem deutsch-polnischen und ökumenischen Gespräch wollen wir den Zusammenhang von Religion und Politik in den Blick nehmen – in der Hoffnung, damit zugleich einen Beitrag zur Reformdebatte in unseren Ländern und zum Abbau von Missverständnissen im aktuellen deutsch-polnischen Verhältnis zu leisten.
Dazu laden wir herzlich ein.
Simultanübersetzung wird angeboten.
Ludwig Mehlhorn
9.00 Uhr Anmeldung und Begrüßungskaffee
10.00 Uhr Begrüßung und Eröffnung
Ludwig Mehlhorn
Evangelische Akademie zu Berlin
10.15 Uhr Aktuelle Stunde: Polen nach den Parlamentswahlen
Kurzkommentare, Fragen und Antworten
11.15 Uhr Die säkulare Gesellschaft – ein universales Modell?
Schnittstellen von Religion und Politik in Europa
Dr. Marek A. Cichocki
Philosoph und Politologe, Programmdirektor des Europa-Zentrum Natolin bei Warschau
Dr. Ehrhart Neubert
Theologe, Erfurt
12.30 Uhr Mittagessen
14.00 Uhr Die „Einheit“ von Nation und Kirche
Der polnische Katholizismus – ein europäischer „Sonderweg“ im 20. Jahrhundert?
Prof. Dr. Andrzej Friszke
Historiker, Universität Warschau
15.30 Uhr Kaffeepause
16.00 Uhr Profile des Christentums
Strömungen, Entwicklungstendenzen, Konflikte
Dr. Andrzej Grajewski
Redakteur der katholischen Wochenzeitung Gość Niedzielny
Dr. Zbigniew Nosowski
Chefredakteur der Zeitschrift „Więź“, Warschau
Kommentar:
Dr. Theo Mechtenberg
Gesamteuropäisches Studienwerk Vlotho
Moderation:
Dr. Robert Żurek
Polnische Akademie der Wissenschaften, Berlin
18.00 Uhr Grenzen des Säkularismus
Ist Polen auf dem Weg in eine postsäkulare Moderne?
Maciej Zięba OP
Direktor des Instytut Tertio Millennio, Krakau
19.30 Uhr Abendessen und Ende der Tagung