Beobachtungen in einer veränderten Welt 23

Ringen um richtige Entscheidungen

Beobachtungen in einer veränderten Welt 23 - Heinz-Joachim Lohmann

Corona-Blog Abschluss

© EAzB/EKD

Fast 60 Tage begleitete dieser Blog unser größeres und kleineres Zeitgeschehen unter dem Eindruck des Lebens mit Corona. Neben manchem Bedenklichen und Kritischen wurde auch Mutmachendes und in die Zukunft Weisendes konstatiert und diskutiert. Gedanken zum Abschluss von Heinz-Joachim Lohmann.

Immer kontroverser wurde und wird die Frage diskutiert, ob die in einem großen Konsens von der Politik getroffenen Entscheidungen einen zu starken Eingriff in die Freiheit und Würde der Einzelnen darstellen oder aus Gründen des Lebensschutzes, der Bewahrung der Bedrohten und der Funktionalität des Gesundheitssystems angemessen waren.

Die Entwicklung der Infektionszahlen und Sterbefälle in Deutschland dokumentieren einen großen Erfolg des gegangenen Weges. In den USA überstieg die Zahl der Toten durch Corona rund um den 45. Jahrestag der Räumung von Saigon die Zahl der im Vietnamkrieg gefallenen Soldaten. Der Umgang mit einem solchen kollektiven Trauma bleibt uns erspart. Doch auch in Deutschland müssen die Folgen der letzten drei Monate bewältigt werden, die längst nicht nur wirtschaftlicher Natur sind. Es geht auch um ungleich verteilte Lernverluste durch ausgefallenen Unterricht, die Unvereinbarkeit von Home Office und Kleinkinderbetreuung, um Isolation und Einsamkeit durch Kontakteinschränkung – und den Abbruch von Beziehungen durch vielfältig aufbrechende Konflikte in zu viel gemeinsamer Zeit. Und nicht zuletzt um die Arbeitsverteilung im gemeinsam organisierten Haushalt und die Verantwortung für die Familie.

Immer wieder wird in diesem Zusammenhang behauptet, dass die Stimme der Kirche in diesen Tagen kaum zu hören sei. Es wird zwar wohlwollend zur Kenntnis genommen, dass die Zahl und Kreativität der Angebote in Zeiten des Versammlungsverbots in Gotteshäusern phantasievoll und großartig sei. Die Leitenden Geistlichen, die sonst zu jeder Frage das Wort erheben, würden jedoch schweigen.

Meiner Meinung nach ist das schlichtweg falsch. Nahezu jede Bischöfin und jeder Kirchenpräsident hat in dieser Zeit öffentlich gesprochen. Sie gaben nur nicht die ersehnten markigen Antworten. Ich sehe nicht, dass uns die Rede von der Strafe Gottes weitergebracht hätte, die der ehemalige Militärbischof Hartmut Löwe in der FAZ am 16.05. gefordert hat. Wer diese Diskussion führen will, muss eine Antwort darauf haben, durch welche Bußpraktiken und Verhaltensänderungen der Schrecken aufhört. Wer eine solche Antwort behaupten will, stellt sich schon im Ansatz außerhalb eines satisfaktionsfähigen Diskurses.

In Luthers Schrift „Ob man vor dem Sterben fliehen möge“ von 1527 werden von der Verantwortung der systemrelevanten Berufe bis zum Umgang mit Begräbnissen erstaunlich viele Dinge aufgezählt, die auch in diesen Tagen wichtig geworden sind. Selbst die Antworten auf die Frage des Umgangs mit der eigenen Angst, die er in die Bilder von Starken und Schwachen kleidet, sind von den Reflektionen von Bischof Stäblein und Pröpstin Bammel in der Kirchenzeitung der EKBO nicht weit weg: „Bereit, den Jammer in die Grenzen zu verweisen, Gottes Geist zuzutrauen: Er ordnet jedes Chaos, sogar manchmal mit der Hilfe unseres Tuns und Loslassens.“ (Christina Bammel, Die Kirche, 24. Mai 2020)

Wahrscheinlich bleibt die Enttäuschung, dass es die ganz große Antwort auf den unlösbaren Konflikt zwischen individueller Freiheit und gesellschaftlicher Verantwortung nicht geben wird. Unser gemeinsamer Weg besteht aus einem Ringen um die richtige Entscheidung. Und wir gewinnen die Kraft des Petrus, über das Wasser zu gehen aus dem Glauben und dem Vertrauen, dass Gott uns „so viel Widerstandskraft geben will, wie wir brauchen“ und „er auf aufrichtige Gebete und verantwortliche Taten wartet und antwortet“ (Dietrich Bonhoeffer). Pfingsten 2020 öffnet tatsächlich die Türen und lässt uns wieder auf die Straßen treten. Es ist schön, wenn es uns auch die beschwingte Begeisterung bringt, den Weg in die Zeit, die jetzt kommt, hoffnungsfroh und voller Visionen anzugehen.

Dieser Text steht unter CC-0 und darf frei geteilt und modifiziert werden.

Heinz-Joachim Lohmann

Stellvertretender Direktor und Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche im ländlichen Raum

Telefon (030) 203 55 - 510

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