2021-04-07 Blog Katharina von Kellenbach

Post-apokalyptische Hoffnung

7.4.2021 | Blog | Katharina von Kellenbach

Osterblog

© EAzB / Ulf Beck

Es hat etwas Unverschämtes angesichts des Todes von Hoffnung und dem Leben nach dem Tod zu sprechen. Nicht selten klingt es hohl. Oft wäre es besser erst einmal zu schweigen. Als Vorbild solcher schweigender Anteilnahme gelten ausgerechnet die Freunde Hiobs. In einer Wette mit Satan testet Gott Hiob: Seine Herden werden gestohlen, seine Stallungen brennen ab, seine Söhne und Töchter sterben in einem Unfall und er selbst erkrankt . Sobald seine Freunde von seinem Unglück hören, eilen sie herbei und setzen sich sieben Tage und sieben Nächte auf die Erde neben ihn. Sie sagen absolut gar nichts, „denn sie sahen, dass der Schmerz sehr groß war.“ (Hiob 2,3). Erst danach erklären sie in langatmigen und besserwisserischen Vorträgen die Gerechtigkeit Gottes und behaupten, dass Hiob sein Unglück selbst verschuldet haben muss. Denn, so ihre falsche Position, Leiden muss immer einen Grund und Ursache haben. Dafür werden sie am Ende bestraft.  

Aus dieser Geschichte entwickelt die jüdische Tradition das Trauerritual des Schiwa-Sitzens. Sieben Tage und Nächte dürfen Trauernde nicht allein gelassen werden. Angehörige, Freunde und Mitglieder der Gemeinde kommen vorbei und leisten ohne große Unterhaltung Gesellschaft. Solch schweigende Präsenz in der Trauer wird in der Christenheit leicht von der Auferstehungsbotschaft übertönt. Manchmal wirken solche beredten Hoffnungspredigten wie die Erklärungsversuche der Freunde Hiobs. Dabei brauchen wir gerade in Zeiten apokalyptisch anmutender Umbrüche, wie der nicht-enden-wollenden globalen Pandemie mit ihren täglichen Infektions- und Sterbestatistiken eher eine schweigsame und geduldige Solidarität.  

Der jüdisch-amerikanische Psychiater Robert Jay Lifton hat sich intensiv mit den Folgen apokalyptischer Gewalt befasst. Als junger Arzt wurde er 1945 von der US-Armee nach Hiroshima und Nagasaki geschickt, um den psychologischen Zustand der Überlebenden der Atombombenabwürfe zu untersuchen (nicht: zu therapieren). Was bedeutet Hoffnung, wenn Menschen schlagartig alles, einschließlich ihrer natürlichen Umwelt, genommen wird?  Später befragte er Nazi-Ärzte nach den psychologischen Verweigerungsstrategien, die es ihnen erlaubten , ohne Empathie und Betroffenheit in den KZs zu morden. Welche Mechanismen erlauben uns, akute Bedrohungen und extreme Handlungen einfach auszublenden? Hoffnung ist zweischneidig, denn sie erlaubt auch, einfach so weiterzumachen als stünde man gar nicht am Abgrund. Wenn mit der Hoffnung Realität verweigert wird, dann glauben Menschen, man könne einen atomaren Schlagabtausch gewinnen, oder man müsste sich nicht um den Klimawandel kümmern, weil es gar nicht so schlimm kommen könne. Aber: der Tod ist real, und das Schlimmste passiert — immer wieder.   

Mit 90 Jahren hat Robert J. Lifton ein neues Buch geschrieben, mit dem Titel „Climate Swerve“. Es ist ein hoffnungsvolles Buch, das sich der apokalyptischen Bedrohung durch den Klimawandel mit dem Handwerkszeug der psychologischen und politischen Überlebensstrategien nach Atomkrieg und Völkermord begegnet. Obwohl Lifton wie viele Juden eher an Sigmund Freud als an den Gott Israels glaubt, ist er ein hoffnungsvoller Mensch. Er hat sich sein Leben lang auf die Erde gesetzt und den Hiobs dieser Welt aufmerksam zugehört. Wenn er heute sagt: „Wir schaffen das“, dann ist das kein naiver Optimismus, sondern ein Aufruf, sich der Herausforderung zu stellen und das Leben zu schützen.  Damit formuliert er die Lehren der Überlebenden von Hiroshima und Auschwitz, deren „Weiterleben“ (Ruth Klüger) in kleinen Schritten erkämpft werden musste. Viele konnten nur weiterleben, weil sie jeden Tag die Aufgabe annahmen, Zeugnis abzulegen und die Erinnerung wach zu halten. Für sie war Hoffnung eine Pflicht zur Solidarität im Leben gegen den Tod.  

Eine post-apokalyptische Hoffnung ist widerständig und niemals naiv. Es ist das „Trotzdem“, das auch die traumatisierten Jünger drei Tage nach der Kreuzigung dazu verpflichtet hat, weiter zu machen.

Katharina von Kellenbach ist Professorin für Religious Studies am St. Mary's College of Maryland und seit November Referentin des Projekts "Bildstörungen: Elemente einer antisemitismuskritischen pädagogischen und theologischen Praxis" an der Akademie

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