Positive Erzählungen entgegensetzen

Positive Erzählungen entgegensetzen

Das Projekt DisKursLab geht unerkannten Rassismen nach

DisKursLab

© EAzB

Menschenfeindlichkeit muss nicht körperlich gewalttätig sein. Gedanken oder Worte müssen nicht offensichtlichen Hass zeigen, um zu verletzen. Gerade in christlichen Kontexten geschieht eine abgrenzende Positionierung schnell – beispielsweise gegen auffallenden Rassismus und Antisemitismus. Subtile, umso fester eingeprägte Formen bleiben dagegen oft unerkannt und unbeachtet: Ein Antisemitismus, der sich unter anderem in einer judentumsfeindlichen Deutung der hebräischen Bibel als überholtes, altes Testament ausdrückt. Ein Rassismus, der sich in christlichen Kirchen zum Beispiel dadurch zeigt, dass Weißsein die prägende Perspektive ist.

Das Projekt „NetzTeufel“ der Evangelischen Akademie zu Berlin ist von 2017 bis 2019 im Internet und sozialen Medien auf Spurensuche nach menschenfeindlichen Einstellungen gegangen. Die Leitfrage war dabei, wie wir mit Diskriminierungsformen mit christlichem Hintergrund im Netz umgehen und Zivilcourage stärken können. Aus dieser Arbeit heraus ist im Jahr 2020 „DisKursLab – Labor für antisemitismus- und rassismuskritische Praxis“ entstanden. Ein Leitgedanke von NetzTeufel – dass digitale und analoge Räume eine verschränkte Lebenswelt bilden – ist ein Kernaspekt von DisKursLab, einem Modellprojekt der Evangelischen Akademie zu Berlin in Kooperation mit der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO).

Digitale Plattformen gehören zum gesellschaftlichen Leben und zur Gestaltung der Demokratie dazu. Das Internet, soziale Medien, Web-Tools können soziale Herausforderungen sein – aber auch Chancen. Das haben viele Menschen im vergangenen Jahr erleben können, als aufgrund der Corona-Pandemie viele Veranstaltungen, viele Begegnungen nicht mehr persönlich möglich gewesen und in digitale Alternativen umgewandelt worden sind.

DisKursLab experimentiert mit Formen digitaler, partizipativer Kommunikation und Bildung. Dabei soll das Problembewusstsein von Menschen, die ehren- und hauptamtlich in der evangelischen Kirche arbeiten, gestärkt werden. Wir wollen ihnen Möglichkeiten zeigen, wie sie sich auch mithilfe digitaler Werkzeuge mit diskriminierenden Einstellungen auseinandersetzen und andere, christlich begründete Perspektiven auf die Vielfalt der Menschen zeigen können. Dabei fokussiert sich die Arbeit von DisKursLab darauf, wie christlich grundierten antisemitischen und rassistischen Bildern und Narrativen begegnet und kraftvolle Alternativen gefördert werden können.

„Let’s talk“ und „Let’s do“ – sich gegenseitig erzählen

Ein digitales Format dazu hat DisKursLab in Kooperation mit dem Amt für kirchliche Dienste (AKD) der EKBO zwischen November 2020 und März dieses Jahres veranstaltet. Mit den drei Workshops wurde ein Rahmen geschaffen, sich mit Rassismus und Rassismuskritik in Kirche und Theologie auseinanderzusetzen.

Der Wunsch nach Begegnung gerade von Menschen, die im ländlichen Raum arbeiten und leben, ist groß, wie wir dabei gemerkt haben. Da die Workshops digital stattfanden, konnten sie überregional wahrgenommen werden und andere wahrnehmen. In kleineren Gesprächsgruppen während der Workshops, in denen sich die Teilnehmer*innen über die Inputs der Referent*innen oder anknüpfende Fragen persönlicher austauschen konnten, entstand immer wieder neben Unwohlsein und Anspannung auch Nähe und Offenheit. Hier ist deutlich geworden, dass digitale Formate dafür geeignet sind, kritische, verunsichernde oder emotionale Themen zu bearbeiten.

In den Workshops wurden mit verschiedenen Gast-Referent*innen drei Felder betrachtet. Unter dem Titel „Let’s talk about me – Was bedeutet Rassismuskritik?“ diskutierten Teilnehmer*innen vor allem über Privilegien, die weiße Menschen in der Gesellschaft haben. Die Konfrontation mit Rassismus ging dabei ins Innere, mit Fragen, die die eigene gesellschaftspolitische Identität betreffen. Ist mir bewusst, dass ich weiß bin und damit Privilegien habe, die andere nicht haben? Ist mir bewusst, dass ich als weißer Mensch Rassismus reproduziere und aufrechterhalte?

Vom Ich ging es im zweiten Workshop zu einem „wir“: „Let’s talk about us – Rassismus in Kirche und Theologie“ beleuchtete,  dass in christlicher Theologie und in der evangelischen Kirche als Institution Rassismus existiert. Neben mangelnder Repräsentanz von BIPoC (Black, Indigenous, People of Color) sprachen die Teilnehmer*innen auch über Alltagsrassismus in Gemeinden, mangelnde Aufarbeitung der Rolle der evangelischen Kirche im Kolonialismus oder Auslegungen von Bibeltexten, die Rassismus stützen. Es ging dabei nicht nur um das Erkennen von Problemen.

Am Ende wurde überlegt, welche Möglichkeiten jede*r Einzelne:r hat, um an ihnen zu arbeiten. Hier setzte der dritte Teil des Formats mit dem Titel „Let’s do –  Impulse für eine rassismuskritische Praxis“ an, bei dem Gästen fünf Workshops zu Themen wie Erziehung, Religionspädagogik, Theologie und institutioneller Transformation durchführten. Inputs zeigten, wie die positive Bewertung von Vielfalt in der Erziehung Rassismus entgegenwirken kann; wie wichtig es ist, im pädagogischen Rahmen Ambivalenzen und Mehrdeutigkeiten auszuhalten; wie fruchtbar es ist, die eigene Biografie in den Blick zu nehmen; wie wichtig es ist, auf Inhalte von Büchern für Kinder zu achten; zu sehen, in welchen strukturellen Ebenen es in der evangelischen Kirche Möglichkeiten gibt, Rassismus zu bekämpfen.

Immer wieder wurde deutlich, dass rassismuskritisches Handeln an Selbstreflexion gebunden ist. Es ist wichtig, zu erkennen, dass alle Menschen von Rassismus betroffen sind, dass wir alle rassistische Denkmuster haben, weil wir in einem rassistischen System leben. In den Workshops identifizierten Teilnehmer:innen Auslegungen von Bibeltexten, in denen Schwarze Menschen negativ belegt werden, Traditionen wie Blackfacing bei Sternsinger*innen oder bildliche Darstellungen von Jesus als weißen Menschen als rassistisch. Gerade die Vorstellung eines weißen Jesus ist Spiegel eines Denkens, das Weißsein als Norm. Die Vorstellung, dass Jesus weiß ist, dient bis heute einer Ideologie weißer Vorherrschaft und damit Rassismus als religiöse Legitimation. Im Lauf der Workshop-Reihe ergaben sich auch viele Fragen darüber, wie wir als Christ:innen mit Rassismus in Kirche und Theologie umgehen können: Reicht eine Vernetzung von Gleichgesinnten? Sollten wir uns abgrenzen von Ansichten, die andere abwerten, diejenigen dabei ausgrenzen, die sie vertreten, also Kante zeigen? Dass wir aber auch selbst rassistisch denken und handeln, obwohl wir Rassismus sehen und infrage stellen, bleibt bei der Benennung und beim Handeln gegen Rassismus manchmal außen vor. Zwar erkennen wir, dass andere Menschen diskriminierend agieren, Strukturen unterdrückend oder Bilder verletzend sind, sparen uns selbst und unsere Prägungen und verletzenden Handlungen aber aus. Wir externalisieren Rassismus und wehren Verantwortung für unser eigenes Tun und Denken ab.

Wenn ich davon ausgehe, dass wir alle rassistisch denken und handeln, wird mir bewusst, dass ich Teil des Problems bin. Dieser Gedanke kann schmerzhaft sein, weil er die eigene Rolle betrifft – als Mitträger*in und Aufrechterhalter*in menschenfeindlicher Umgebungen. Ich als weißer Mensch mag es nicht spüren, dass ich Vorteile habe – die Menschen, die dadurch benachteiligt werden, sind dem umso stärker ausgesetzt.

Meine Privilegien, Verantwortung und Schuld an dem Bestehen unterdrückender Strukturen anzuerkennen, kann wehtun. Das Unwohlsein darüber war in den Workshops immer wieder zu spüren. Zu sehen, welche Rolle ich in diesem System habe und die damit verbundene Verunsicherung ist aber ausschlaggebend für Veränderung. Dazu gehört die persönliche Erforschung der eigenen Prägung, die vielschichtig ist und sich individuell unterscheidet – auch innerhalb heterogener Gruppen, die beispielsweise als weiß und Schwarz[i] bezeichnet werden.

Selbstreflexiv mit anderen handeln

Aus der bisherigen Arbeit bei DisKursLab entsteht das Gefühl, dass Rassismus, der für BIPoC  lebensprägendes Thema ist, von weißen Menschen in der evangelischen Kirche erst langsam wahrgenommen wird als subversiv wirkendes System, das alle betrifft. Die Reflexion des eigenen Weißseins ist Teil rassismuskritischen Handelns, auch in der Bildungsarbeit. Zu erkennen, dass ich rassistisch denke und handle, befähigt dazu, es nicht mehr zu tun. Das trifft auch auf Antisemitismus und seine Ausformungen zu. Christ*innen haben eigentlich gute Voraussetzungen dafür, die eigenen Verstrickungen anzuerkennen und Änderung zu bewirken. Im Bewusstsein darüber, dass wir die Gnade Gottes nötig haben, weil wir schuldig sind und immer wieder werden, liegt das Potenzial, anders zu werden.

Selbstreflexion, Zuhören und Handeln sind drei Aspekte, die zusammen Veränderung gestalten. Wenn sich diese Ansicht – dass sich Selbstreflexion (z.B. von Weißsein, Christ*in-Sein etc.), in Beziehung gehen und Handeln nicht ausschließen, sondern zusammengehören – in Bildungsarbeit etabliert, können in sozialen Medien, digitaler Kommunikation, kirchlichen Strukturen und analogen Räumen menschenfeindliche Denkmuster wie Rassismus und Antisemitismus erkannt, auseinandergenommen und durch andere, bestärkende und Vielfalt anerkennende Narrative wie die Ebenbildlichkeit Gottes jedes Menschen ersetzt werden.

Wie das geschehen kann, ist kontextabhängig. In Chat-Gruppen oder sozialen Medien könnten als Reaktion auf diskriminierende Aussagen beispielsweise selbsterstellte Memes andere Erzählungen sichtbar machen. Hier und auch bei eigenen, von anderen Äußerungen gelösten Positionierungen ist es fruchtbar, keine reinen Gegenpositionen einzunehmen, sondern andere, davon unabhängige, den Menschen in seiner Vielfalt schätzenden Einstellungen zu repräsentieren. Im Zusammenwirken von Selbstreflexion, Austausch und Handeln liegt dann Potenzial dafür, auch subtile Formen von Menschenfeindlichkeit wahrzunehmen und digitale und analoge Räume und Strukturen rassismus- und antisemitismuskritisch zu gestalten.

Dieser Artikel erschien zuerst auf feinschwarz.net.

 

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