Glaube an das Potenzial

Glaube an das Potenzial

Rassismus in der Kirche | Blog | Nathaly Kurtz

© Jonas Klinke / EAzB

Beinahe hätte sich unsere Autorin von der Kirche abgewendet. Sie ist geblieben – trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten, die sie als Schwarze in der Gemeinde und beim Theologiestudium täglich erlebt. „Trotzdem!“ heißt für sie, diese Widerstände auszuhalten und Rassismus in der Kirche zu bekämpfen.

Rassismus als systemisches und institutionelles Problem zu identifizieren, führt unweigerlich dazu, auch Kirche in Vergangenheit und Gegenwart kritisch zu betrachten und eklatante Schuld bei eben jenen zu finden, die Gottes Liebe und Gerechtigkeit predigen.

Laut und deutlich auf Rassismus hinzuweisen innerhalb einer Kirche, der es schwerfällt, Selbstkritik zu äußern, ist sehr kräftezehrend. Nur zögerlich wollen die Verantwortlichen an die bröselnden Fundamente der Institution herangehen. Aber was passiert mit unserer Kirche, wenn die Vorstellung, Jesus sei weiß, nicht mehr gilt? Wenn die Gerechtigkeit, die sonntäglich gepredigt wird, bedeuten muss: „Die Kirche hat sich den eigenen Verstrickungen zu stellen“? Wenn die Beschäftigung mit Rassismus einen Großteil des kirchlichen Selbst- und Weltbildes in Frage stellt?

Mit diesen Fragen habe ich mich in der Kirche lange alleine gefühlt. Diese Fragen und die Themen, die dahinterstehen, schienen weder andere Gemeindemitglieder noch meine Kommiliton*innen zu beschäftigen. Ich fühlte mich missverstanden und entfernte mich von der Kirche. Zwar studierte ich weiterhin Theologie, engagierte mich aber vor allem (hochschul-)politisch. In diesem Bereich fand ich Verständnis für meine Positionen und teilte mit Vielen den unbedingten Wunsch, das System zu ändern. Ich wurde ernst genommen, wenn ich über Rassismus und die sozialen, wirtschaftlichen und globalen Auswirkungen dieser menschenverachtenden Ideologie sprach, die unser aller Leben prägen, ob uns dies bewusst ist oder auch nicht.

2020 führte die Tötung von George Floyd durch einen Polizisten in den USA zu weltweiten Protesten. Auch in deutschen Kirchen rüttelte dies Einige wach. Ich entdeckte auf Instagram das Profil der Theologin und Autorin Sarah Vecera und fühlte mich das erste Mal im kirchlichen Kontext wirklich gesehen, verstanden und repräsentiert. Und ich tat etwas für mich sehr Untypisches und schrieb Sarah einfach an. Ich sah, dass es noch eine andere Schwarze Frau gab, die ähnliche Erfahrungen in der Kirche gemacht hatte, mit der ich eine Perspektive auf Welt und Kirche teilte – und die trotzdem in der Kirche blieb und für sie eintrat. Dies war der Beginn meines antirassistischen Engagements innerhalb der Kirche.

Die US-amerikanische Schriftstellerin und Aktivistin Audre Lorde schrieb einmal: „Without community there is no liberation.” („Ohne Gemeinschaft gibt es keine Befreiung.“) Mittlerweile sind wir viele geworden in unserem Black and People of Color (BPoC)-Netzwerk in der Kirche. Die Kraft und Energie, die in uns steckt, die in dem Zusammenschluss, dem Netzwerk, dem Verbündet-Sein steckt, spürte ich im September bei der Tagung „Gemeinsam Rassismus überwinden“ in der Berliner Stadtmission. Viele meiner BPoC-Geschwister sah ich nach monatelangem Kontakt über den Bildschirm das erste Mal persönlich, und unsere Energie überwältigte mich. Die Referentin dieser Tagung war Velda Love. Sie leitet das Amt für antirassistische Gerechtigkeit in der United Church of Christ in den USA und hat das Programm „Sacred Conversations to end racism“ ins Leben gerufen. Dort absolviere ich zurzeit eine Ausbildung; etwas Vergleichbares gibt es im deutschsprachigen Raum bisher nicht. Velda Love gab uns mit ihren Erfahrungen, ihrem Wissen und ihrer Präsenz insbesondere eines: Kraft. Kraft die es braucht, wenn man trotzdem – trotz aller Widerstände und Schwierigkeiten – weitermachen will mit der antirassistischen Arbeit in der Kirche.

Das Wort „trotzdem“ beschreibt gut mein Verhältnis zur Kirche. Aufgewachsen mit einer katholischen Mutter und einem atheistischen Vater, bin ich trotzdem evangelisch. Als einzige Schwarze in meiner Gemeinde hatte ich immer das Gefühl, nicht ganz dazu zugehören – und trotzdem war ich Teamerin und habe die Jugendarbeit geliebt. Ich hatte große Zweifel am Glauben und an der Kirche als Institution und war trotzdem Theologiestudentin.

Trotzdem: Ich studiere Theologie, im Wissen, dass Vieles, was Theolog*innen und Philosoph*innen gedacht, gesagt und geschrieben haben, Grundlagen sind für die Weiße Vorherrschaft.

Trotzdem: Ich bleibe in der Kirche, um Rassismus als ein Konstrukt zu demontieren, das schon seit Jahrhunderten in unserer Mitte besteht, wächst und sich anpasst.

Trotzdem: Ich bleibe hoffnungsvoll, obwohl die Gewalt und Ungerechtigkeit, die meine Geschwister weltweit erleiden mussten und müssen, so oft verzweifeln lässt.

Ich glaube fest daran, dass gerade das Christentum das Potenzial hat, Räume in uns und miteinander herzustellen, in denen wir uns im radikalen Überwinden von Herrschaftssystemen üben. Dafür müssen wir es schaffen, den Schulterschluss des institutionalisierten Christentums mit Dominanz- und Herrschaftssystemen zu enthüllen, zu dekolonisieren und zu beenden. Denn ist es nicht dies, was uns das Kind in der Krippe lehrt?!

Das Lied „We rise“ von Bayta Levine gibt mir immer wieder Mut weiterzumachen. Darin heißt es:

„We rise, up from the wreckage
Rise, with tears and with courage
Rise, fighting for life.
We rise!”

Nathaly Kurtz studiert evangelische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie ist als Bildungsreferentin für Antirassismus in unterschiedlichen kirchlichen Zusammenhängen tätig und unterstützt das DisKursLab der Evangelischen Akademie zu Berlin. Für die Playlist zum Adventsblog hat sie „We rise“ von Batya Levine gewählt.

Die ganze Playlist zum Adventsblog TROTZDEM!

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