Trotzdem reden

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Zum Dialog mit radikalen Klimaschützer:innen | Blog | Bischof Christian Stäblein

© Jonas Klinke / EAzB

Wie umgehen mit dem Protest radikaler Klimaschützer:innen? In seinem Blogbeitrag wirbt Bischof Christian Stäblein dafür, ihr Anliegen zu verstehen, auch wenn man ihre Methoden nicht billigt. Die Debatte um Protestmethoden dürfe nicht vorgeschoben werden, um Menschen mit einem ernsthaften, dringlichen Anliegen auszugrenzen. Die Kirche müsse in dieser Debatte für das Gespräch stehen und biete Raum dafür, den Austausch auch mit der Politik zu ermöglichen.

Die Klimakrise, die ökologische Herausforderung, die größte Aufgabe für unsere Generation – wie auch immer Sie das betiteln wollen – bringt uns mit endzeitlichen Einschätzungen und Wahrnehmungen zusammen. Denn wir erleben Menschen, die uns vorführen, was es heißt, sehr radikal vom Ende her zu denken, mit diesem Ende zu rechnen. Und darauf sein persönliches Leben einzustellen.

Ich habe mich in den letzten Monaten mehrfach mit Menschen aus der Gruppe Scientist Rebellion getroffen – sie gehören als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu dem größeren Spektrum jener Aktivistinnen, die wir unter dem Stichwort Letzte Generation kennen und die mit höchst eigenwilligen, ja ziemlich verstörenden Formen für Protest und so auch Aufmerksamkeit sorgen. Mein Anliegen bei diesen Treffen: Reden, Hören, Verstehen.

Was ich verstanden habe: Es sind Menschen, die reflektiert und engagiert ihr persönliches Glück und auch ihre berufliche Karriere als Menschen in Wissenschaft und Forschung zurückstellen. Weil sie zutiefst davon bewegt sind, dass die letzten Möglichkeiten im Kampf gegen die fortschreitende Klimakatastrophe genutzt werden müssen bzw. dass die Menschen in Politik und Gesellschaft darauf zu stoßen sind, eben diese letzten Möglichkeiten und Optionen klimapolitischen Handelns jetzt zu nutzen.

Was ich verstanden habe: Es sind Menschen, die zutiefst darunter leiden, dass bisher kaum Fortschritte in einem unmittelbaren klimapolitischen Handeln zu erkennen sind. Es sind Menschen, die sich mit dem ständigen Vertagen, mit den leeren Versprechungen und mit dem Verschieben ins Irgendwann nicht abfinden wollen. Es sind, auch das zeigt das Gespräch, demokratisch überzeugte Menschen, denen nichts ferner liegt, als Menschen zu gefährden. Weil es ihnen um Rettung geht, gehört die Rettungsgasse immer zu ihrem Tun. Es sind keine Spinner, es sind keine Chaoten, es könnten meine, Ihre Kinder sein. Und sie verstehen nicht, dass sich nichts ändert.

Ich sage das alles nicht, weil ich eins zu eins mit ihnen übereinstimme, ich sage das auch nicht, weil ich ihre Methoden rechtfertigen will. Sie sind klug genug, um zu wissen, dass diese Form des Protests aus ihrer Sicht zwar legitim, aber nicht legal ist. Das ist völlig klar. Auch wenn die Bilder keinen Schaden nehmen, die mit Brei oder Suppe traktiert werden, muss der Schaden bezahlt werden – und das Geld fehlt dann da, wo es nötiger gebraucht würde. Also dass wir uns nicht missverstehen. Ich werde die Methoden nicht rechtfertigen. Aber ich will unterstützen, was das Anliegen dieser Engagierten ist: Dass wir nicht die Methodendebatte vorschieben, um auch dann wieder nichts an der Stelle zu tun, wo gehandelt werden muss. In der Abwehr der immer sichtbarer werdenden Klimakatastrophe. Ich will unterstützen, dass Menschen, die aus der Einsicht in das immer näher rückende und zu erwartende und schon Eintretende an Artensterben, an gerade auch globalen Auswirkungen der Klimawandelfolgen – Überschwemmung in Pakistan in ungeahntem Ausmaß, Dürre und Hunger an Orten, die das bisher nicht kannten – nicht diskreditiert, nicht aus der Gesellschaft ausgegrenzt und am Ende in Protestformen gedrängt werden, die niemand wollen kann.

Deswegen habe ich auch vor einem Jahr das Gespräch mit den Hungerstreikenden gesucht, gerade weil diese Protestform besonders problematisch ist. Wir müssen und wir sollten als Kirche für das Gespräch stehen, für Zuhören, für Verstehen, für Auseinandersetzen. Wir bieten Raum dafür, dass der Austausch dazu auch mit der Politik stattfinden kann. Ich lade ein zu diesem Gespräch und bitte die Regierenden, sich diesen Gesprächen zu stellen. Jetzt ist es Zeit für eine neue Generation, die letzten sind immer die ersten.

Mir ist bewusst, dass meine Position streitbar ist. Genauso wie ich für den Dialog mit Klimaaktivist:innen werbe, so werbe ich auch für das innerkirchliche Gespräch und die Auseinandersetzung. Deswegen bin ich froh, dass es am Montag nach dem dritten Adventssonntag zu einem offenen Dialog in der Genezareth-Kirche in Berlin gekommen ist. Die Umweltsenatorin des Landes Berlin hat dort mit einer Klimaaktivistin diskutiert, sozusagen auf offener Bühne, vor dem Altarraum. Wir brauchen viel mehr solcher Formate, um im Gespräch einander besser zu verstehen. Und um dann auch ins Handeln zu kommen. Es geht ja auch um das, was schon eine der ältesten Predigten in der Bibel – die Predigt des Jona – zum Kern hat: Kehret um. Kehret um. So werdet ihr leben. Dennoch und trotzdem. Gott will, dass wir leben.

Bischof Dr. Christian Stäblein ist der geistliche Leiter der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Für die Playlist zum Blog haben wir zu diesem Text das Stück „Gleichwie Jona war“ aus dem Oratorium „Des Jona Sendung“ von Rudolf Tobias ausgewählt.

Die ganze Playlist zum Adventsblog TROTZDEM!

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