„Wir ziehen das durch!“

„Wir ziehen das durch!“

Als Auszubildender in der Pflege | Blog | Henry Livingstone Ssitakange

© Jonas Klinke / EAzB

Pflegenotstand, Fachkräfte- und Nachwuchsmangel, hohe Arbeitsbelastung: Bei Pflegeberufen ist in der Öffentlichkeit oft von Defiziten und Problemen die Rede. Was motiviert einen jungen Menschen dennoch, gerade jetzt eine Pflegeausbildung zu beginnen und seine berufliche Zukunft in diesem Berufsfeld zu suchen? Ein Gesprächsprotokoll.

Nach meinem Abitur in Uganda habe ich zusammen mit einer Freundin aus Großbritannien ein Kunststoff-Recyclingprojekt in Sansibar aufgebaut. Aus Plastikmüll haben wir Bausteine hergestellt, damit die Menschen das Material wiederverwenden und es nicht überall in der Landschaft herumliegt. Leider lief das nicht sehr gut, also bin ich nach Uganda zurückgekehrt und wusste erst einmal nicht so recht, was ich tun sollte. Mein Wunsch war es eigentlich immer, nach Frankreich zu fahren. Aber ein Bekannter hatte schon ein Praktikum in Deutschland gemacht und riet mir: „Probier es mal mit einem Praktikum hier, da kannst Du in ganz verschiedene Einrichtungen gehen und hast viele Möglichkeiten.“ Also habe ich mir die verschiedenen Möglichkeiten angeschaut und mich entschieden, in die Pflege zu gehen.

Zum einen ist die Pflege ein langfristig sicherer Beruf. Zum zweiten ist das auch eine private Geschichte: Mein Vater und auch zwei meiner Geschwister sind gestorben, weil unser Gesundheitssystem zu der Zeit nicht soweit war, dass man schnell eine Behandlung bekommen konnte. Sie sind praktisch auf dem Weg ins Krankenhaus gestorben – meine Mutter wusste gar nicht so schnell, was sie tun sollte, als sie plötzlich krank wurden. Vielleicht war es eigentlich gar nichts Schlimmes, aber es gab niemanden, der eine Ahnung hatte, wie man jemanden behandelt. Also dachte ich mir, es ist wirklich wichtig, sich mit Gesundheit auszukennen. Meine Mutter und meine Familie fanden das auch eine gute Idee.

Nach meinem Freiwilligen Sozialen Jahr, das ich am Bodensee gemacht habe, gab es zwei Möglichkeiten: entweder an die Uni gehen und studieren oder in die Pflege gehen. Aber ich war ganz sicher, dass ich in der Pflege bleiben möchte. Ich mag es, mit Menschen zu arbeiten und in Bewegung zu sein, nicht nur im Büro zu sitzen und mich mit Bürokratie herumzuschlagen. Früher hatte ich auch einmal überlegt, Sozialpädagogik zu studieren. Aber da sitzt man letztlich auch vor allem im Büro. Auf jeden Fall sollte es etwas Soziales sein. Denn ich will auch etwas für die Gesellschaft tun.

Wie es weitergeht, wenn ich fertig mit der Ausbildung bin, weiß ich noch nicht. Irgendwann muss ich vielleicht nach Uganda zurück, aber erst einmal will ich auf jeden Fall noch längere Zeit in Deutschland bleiben, wenn sich eine Möglichkeit ergibt. Solange ich einen gültigen Vertrag habe, ist das auch kein Problem. Wenn ich meine Ausbildung abschließe, bekomme ich eine unbefristete Arbeitserlaubnis; dann kann ich immer arbeiten. Und solange ich arbeite, ist alles in Ordnung, dann bekomme ich ein Visum.

Meine Ausbildung läuft im Blockunterricht ab. Mal habe ich drei Wochen Schule, dann wieder drei Wochen oder einen Monat Praxis. Ich muss in alle Bereiche gehen: Ich muss stationär arbeiten, obwohl ich auch ambulant eingesetzt werde; ich muss in Krankenhäuser gehen, in die Psychiatrie, in die Pädiatrie. Nach der Ausbildung will ich in der ambulanten Pflege bleiben. Vielleicht ändert sich das noch, aber bis jetzt bin ich in der ambulanten Pflege zufrieden.

Gerade gibt es große Veränderungen in der Pflege, zum Beispiel beim Gehalt. Krankenpfleger und Krankenschwestern verdienen jetzt ein ganzes Stück mehr als noch vor Kurzem. Allerdings müssen die Menschen in der Pflege wirklich viel arbeiten. Die meisten Probleme verursacht, glaube ich, der Personalmangel. Wenn Leute ausfallen – zum Beispiel wegen Krankheit, Feiertagen oder Urlaub – wird die Besetzung sehr schnell knapp. Man kann ja nicht immer 24 Stunden da sein. Aber wir ziehen das durch! Es ist noch nicht so schlimm, dass man das nicht durchstehen kann. Letztlich muss man einen guten Arbeitgeber finden. Das Allerwichtigste ist, dass man miteinander reden kann.

Die Kollegen an meiner Arbeitsstelle sind wirklich nett. Ich fühle mich wertgeschätzt und ernstgenommen. Diskriminierung habe ich nur ganz am Anfang in Deutschland erlebt, aber in meiner jetzigen Einrichtung noch nie. Die Kollegen sind sehr, sehr hilfreich und unterstützen mich. Sie sind immer da, wenn ich eine Frage habe. In anderen Einrichtungen habe ich auch schon krassen Rassismus erlebt, aber das ist ja nicht immer so. Deshalb war mir schon klar, dass ich einen guten Arbeitgeber finden muss – und Gott sei Dank hat das auch geklappt.

Wichtig bei der Arbeit ist, dass man wertgeschätzt wird, dass man sich wohlfühlt und dass die Atmosphäre gut ist. In der Pflege ist immer so viel los, da ist das Allerwichtigste ein gutes Team – dass man sich untereinander unterstützt und miteinander redet, wenn es Probleme gibt. Ein Klassenkamerad hat mir von einer Einrichtung erzählt, in der die Ausländer ganz andere Tätigkeiten übernehmen mussten als die Deutschen. Wie soll man unter solchen Bedingungen arbeiten? Wichtig ist, dass wir alle gleich sind. Und wenn man etwas nicht weiß, fragt man, egal ob man Deutscher oder Ausländer ist. Ich hoffe, dass es so überall ist. Denn es gibt schon genug Probleme in der Pflege – wenn dann noch so etwas wie Rassismus dazukommt, haben die Leute schnell keinen Bock mehr.

Henry Livingstone Ssitakange (23 Jahre) kam vor knapp zwei Jahren aus Uganda nach Deutschland. Nach einem Freiwilligen Sozialen Jahr und einem Praktikum an einer psychiatrischen Klinik absolviert er seit Oktober eine Ausbildung zum Pflegefachmann beim Diakonie-Pflege Verbund Berlin.

Für die Playlist zu unserem Adventsblog hat Ssitakange „Heal the World“ von Micheal Jackson ausgewählt.

(Protokoll: Christoph Dreyer)

Die ganze Playlist zum Adventsblog TROTZDEM!

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