Schuld und Schuldgefühl

Schuld und Schuldgefühl

Theologische Perspektiven auf Opfer und Täter nach der Shoah

© gemeinfrei (CC0 1.0), via Wikimedia Commons

Mahnmal für die Opfer des Massakers von Stolin (Belarus) im September 1942

Warum spüren Menschen, die schwere Schuld auf sich laden, oft keine Schuldgefühle, während viele Opfer von Gewalt unter traumatisch bedingten Schuldgefühlen und Empfindungen einer „Überlebensschuld“ leiden? Mit diesem Paradox beschäftigt sich Katharina von Kellenbach, Referentin unseres Projekts Bildstörungen, in ihrem Aufsatz „Schuld und Schuldgefühl“. Dieser leitet den Band Die Kirche und ihre Täter nach 1945 ein, der anlässlich einer Tagung der Evangelischen Akademie der Pfalz entstand.

Die Frage nach Schuld und Schuldgefühl gilt für von Kellenbach besonders für Täter in der NS-Zeit, die im Namen des Staates handelten, aber auch für kirchliche Missbrauchsskandale. Indem die Theologin die Sicht der Opfer und der Täter nach dem Ende des Nationalsozialismus beleuchtet, sucht sie nach einem neuen Zugang zur christlichen Rede von Schuldvergebung. Wie kann Vergebung funktionieren, wenn Schuldige nicht unter Gewissensnöten leiden und keine Reue zeigen?   

Am Beispiel zweier Männer, die sich 1942 fast in einem Wald in Weißrussland begegnet wären, beschreibt von Kellenbach die vielschichtige Problematik: Der eine von ihnen, ein Mitglied des Polizeibataillons 306, bezeichnete die damaligen Massenerschießungen vor Gericht rückblickend als „human“ und wies jede Schuld von sich. Der andere, ein jüdischer Überlebender dieses Massakers, wurde lebenslang von Schuldgefühlen geplagt, weil er seine Familie im Ghetto zurückließ, um sich zu verstecken. Während der Täter Schuld auf sich lud, fühlte sich das Opfer schuldig.

Der Band Die Kirche und ihre Täter nach 1945 versammelt Beiträge der gleichnamigen Tagung, die sich insbesondere mit Hans Stempel beschäftigte, dem ehemaligen Kirchenpräsidenten der Pfalz. Er hatte sich nach dem Zweiten Weltkrieg jahrelang für verurteilte NS-Verbrecher in Frankreich und den Niederlanden eingesetzt. Seine Amnestiekampagnen mit Verweis auf die christliche Pflicht zur Vergebung muten aus heutiger Sicht sehr befremdlich an. Jetzt soll Stempels Name von Straßenschildern in Speyer und Landau entfernt werden. 

Wie aber soll man heute politisch verantwortlich(er) von christlicher Schuldvergebung sprechen? Aus Katharina von Kellenbachs Diagnose der Schuld als Gefühlslosigkeit ergibt sich die Erlösung von Schuld als Rückkehr des Mitempfindens und als Erneuerung der Fähigkeit, mitzuleiden. Damit gehe es nicht um einen Schlussstrich, der unangenehme Erinnerungen einfriert, sondern um emotionale Wiederbelebung und Anteilnahme am Leben der Überlebenden und Opfer. Und das, betont die Leiterin des Projektes „Bildstörungen“ an der Akademie, „geschieht eher selten wie Wunder und ist eine unverdiente Gnade“.

„Die Kirche und die Täter nach 1945. Schuld – Seelsorge – Rechtfertigung“, herausgegeben von Nicholas John Williams und Christoph Picker, ist 2022 im Verlauf  Vandenhoeck & Ruprecht erschienen.

Prof. em. Katharina von Kellenbach, PhD

Projektreferentin für „Bildstörungen: Elemente einer antisemitismuskritischen pädagogischen und theologischen Praxis“

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