Es braucht Viele
Die Verteidigung der liberalen Demokratie

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Man stelle sich vor, folgende Begriffe dürften nicht mehr verwendet werden: Klimakrise, Behinderung, Frauen, psychische Gesundheit. So absurd das klingt, so real ist es – und zwar in den Vereinigten Staaten von Amerika. Rund 200 Begriffe, hat US-Präsident Donald Trump verfügt, sollen von staatlichen Institutionen nicht mehr oder nur in Ausnahmefällen verwendet werden; das hat die New York Times recherchiert. Die Einschränkungen betreffen also Ministerien, Regierungswebsites und offizielle Dokumente, aber teilweise auch staatlich finanzierte wissenschaftliche Publikationen. Ist das Zensur?
Die New York Times betonte in ihrer Berichterstattung, dass auch vorhergehende US-Regierungen entsprechende Sprachregelungen getroffen hätten. Beispiellos seien aber der Druck und die Entschlossenheit, mit denen die aktuellen Regelungen durchgesetzt würden. Mindestens 250 Websites seien schon entsprechend angepasst worden. Und beispiellos seien auch die Begriffe, die da bekämpft würden. »Klimakrise« und »Frauen«(!), »Gleichheit« und »Opfer«, »Diversität« und »Sexualität«: diese Begriffe eint, dass mit ihnen Themen beschreibbar werden, die irgendwie mit sozialer Gerechtigkeit, dem menschengemachten Klimawandel und Identitätsbildung zu tun haben. Trump nutzt also, was andere vor ihm getan haben, aber ungleich brutaler und mit einer autoritären Agenda – und dehnt so die Grenzen seiner Macht aus.
Mit Staunen und Entsetzen verfolgen viele Menschen, wie es der Trump-Regierung gelingt, in einem irren Tempo große Errungenschaften der ältesten Demokratie der Welt zu untergraben. Während Politikwissenschaftler noch darüber streiten, ob Cäsarismus, autoritärer Populismus, Autoritarismus oder schlicht Trumpismus die korrekte Beschreibung dafür sei, werden die Nachrichten geflutet mit Meldungen aus den USA, die sich zu einem Bild des Systemumbaus zusammensetzen. Dessen Phänomene sind – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die Aushöhlung der Gewaltenteilung zugunsten der Exekutive, der radikale Abbau des Minderheitenschutzes, die dramatische Schwächung der Wissenschaftsfreiheit, der Rückzug aus internationalen Beziehungen und Institutionen, eine ostentative Geringschätzung von Menschenrechten und Völkerrecht, und eine Aufkündigung von Verlässlichkeit in globalen Wirtschaftsbeziehungen.
Beobachten wir also das Ende der Demokratie in den USA? Nicht unbedingt. Bisher jedenfalls stehen etwa die Abschaffung der Verfassung oder der Abschied von freien Wahlen – noch (?) – nicht auf der Agenda der MAGA-Bewegung, wie sie sich nach Trumps Wahlkampf-Slogan »Make America Great Again« nennt. Was wir aber sehen, ist eine Aufkündigung liberaler Werte. Der liberale Kern westlicher Demokratien besteht darin, dass die Freiheit des Einzelnen geschützt wird, dass staatliche Macht begrenzt wird, dass ein Leben in Pluralität koordiniert wird. Darum ist die Liste der Wortstreichungen rund um Identitätsfragen, soziale Gerechtigkeit und wissenschaftlich bewiesenem Klimawandel so sprechend. Es geht nicht alleine darum, dass soziale Gerechtigkeit auf Trumps Agenda nicht obenauf liegt. Sondern was eingehegt werden soll, indem die Worte genommen werden, das sind: Gleichstellung, Diversität, Minderheitenschutz, Wissenschaftsfreiheit – und damit all das, was individuelle Entfaltung zu fördern verspricht.
Nicht die Demokratie als Regierungsform steht unter Druck, sondern vielmehr deren liberale Verfasstheit. Halb so schlimm also? Schließlich garantiert eine Demokratie freie Wahlen. Wählerinnen und Wähler können beim nächsten Mal schlicht anders entscheiden. Drei Gründe aber sprechen leider gegen eine solch optimistische Haltung:
Eine liberale Demokratie ist, erstens, angewiesen auf die Mündigkeit ihrer Bürgerinnen und Bürger. Damit diese im besten Sinne entscheiden können, brauchen sie verlässliche Informationen und müssen Desinformation von Fakten unterscheiden können. In den USA gibt es sie ja zum Glück, die vierte Gewalt der Demokratie, also eine freie Presse. Aber sie steht unter massivem Druck. Ein Präsident, der gegen die Wissenschaft wettert, einen wissenschaftsfeindlichen Impfgegner zum Gesundheitsminister ernennt, pausenlos abstruseste Unwahrheiten auf seinen eigenen Kanälen verbreitet, Journalisten beschimpft, die nicht auf seiner Seite sind, und der weit davon entfernt ist, Social-Media-Kanäle so zu regulieren, dass Unwahrheiten erkennbar sind, ein solcher Präsident fördert aktiv Desinformation.
Zweitens ist eine liberale Demokratie angewiesen auf eine starke und unabhängige Judikative. Doch am Ende seiner Amtszeit wird die Hälfte der Bundesrichter mit Menschen besetzt sein, die Trump auswählen konnte. Und auch Urteile des Supreme Courts verheißen nichts Gutes. Die Entscheidungen von Bundesrichtern Ende Juni etwa, die Trumps umstrittenes Gesetz zum Geburtsrecht stoppten, überstiegen deren Befugnisse, urteilte der Oberste Gerichtshof. Dieses Urteil könnte wegweisend sein und die Judikative weiter schwächen zugunsten der noch größeren Macht der Exekutiven.
Eine liberale Demokratie ist schließlich, drittens, angewiesen auf eine starke Verwaltung, die darauf achtet, dass Gesetzte und Regeln ohne Ansehen der Person angewendet werden. Sogenannter Bürokratieabbau und Einsparungen im öffentlichen Sektor stehen aber ganz oben auf Trumps Agenda. Wo Verwaltung fehlt oder die obersten Posten entsprechend umbesetzt werden, da hat Autoritarismus freies Spiel. Die Grundfesten erodieren, auf denen staatliche Institutionen stehen und auf die Bürgerinnen und Bürger sich verlassen können.
Liberale Demokratien, so lehren uns die USA, können in einem atemberaubenden Tempo umgekrempelt werden. Aufklärung ist kein fortschreitender Prozess.
Und damit ein Sprung über den Atlantik nach Deutschland. Droht uns Ähnliches? Die Unterschiede beider Länder sind offensichtlich: Die USA haben ein präsidentielles, Deutschland ein parlamentarisches politisches System. Wirtschaft, geographische Lage, geopolitische Verflechtungen, historische Erfahrungen, Selbstverständnis der Bürgerinnen und Bürger – alles anders. Und doch: In ihrem jährlich erscheinenden Friedensgutachten warnen die vier wichtigsten Friedens- und Konfliktforschungsinstitute in Deutschland vor der Gefahr der „autoritären Ansteckung“. Und sie zeigen, dass die alte These, autoritäre Regime würden weniger gut zusammenarbeiten als liberale Demokratien, nicht mehr haltbar ist. Die Forscherinnen und Forscher argumentieren, dass vor allem Wahlbeeinflussung und Desinformation bekämpft werden müssten – am besten, indem die europäische digitale Souveränität gestärkt werde. Und sie zielen darauf, dass die beste Strategie gegen den Abbau der liberalen Demokratie die konsequente Verteidigung eben jener Werte sei, die sie ausmache. Dafür aber müssten Politik und Zivilgesellschaft „die moralische Empörung in politisches Handeln“ verwandeln, müssten die freie Presse, der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die Zivilgesellschaft und die Freiheit der Wissenschaft gestärkt und verteidigt werden (Friedensgutachten 2025, S. 39).
Eine solch vehemente Verteidigung der liberalen Elemente der Demokratie braucht Viele. Auch deshalb ist der Blick gen USA hilfreich. Trump und seine Unterstützer haben sich auf diese Amtszeit offensichtlich sehr erfolgreich vorbereitet. Dass sie aber das politische System so effektiv verändern können, hängt auch mit mangelndem Widerstand zusammen – trotz tapferer Bürgermeisterinnen, trotz der vielen Klagen gegen seine Verfügungen. Seine eigene Partei folgt ihm, von wenigen Ausnahmen abgesehen, blind; die Demokraten verlieren sich in Selbstfindungsprozessen; die Verbandelung von Wirtschaftsakteuren insbesondere aus der Tech-Branche mit der MAGA-Bewegung ist ein eigenes Kapitel; die berühmten Universitäten – abgesehen von Harvard – setzten sich kaum zur Wehr.
Und auch die aufsehenerregende Predigt der anglikanischen Bischöfin Marianne Budde beim ökumenischen Gottesdienst zu Trumps Amtseinführung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass vor allem evangelikale Kirchen und in Teilen auch die katholische Kirche Trump aufgrund seiner Anti-Abtreibungs-Politik überhaupt erst jene messianische Aura verpassten, die er im Wahlkampf trefflich zu spielen wusste. Was wäre, wenn all diese so ganz unterschiedlichen Institutionen, Akteure und Menschen sich stattdessen auf den liberalen Kern der USA verständigen könnten?
Wir haben in Deutschland keine amerikanischen Verhältnisse. Tröstlich ist das nur bedingt. Denn die USA hatten die beschriebenen Verhältnisse bis zum 20. Januar dieses Jahres auch nicht, wohl aber einen Vorlauf über mehrere Jahre hinweg. Auch in Deutschland beobachten wir seit Jahren Veränderungen. Der Jurist und Schriftsteller Maximilian Steinbeis hat in seinem 2024 erschienenen Buch „Die verwundbare Demokratie – Strategien gegen die populistische Übernahme“ am Beispiel von Thüringen gezeigt, wie es mithilfe der Institutionen der liberalen Verfassung gelingen kann, einen Systemwechsel zu einem autoritären Regime zu erreichen. Wenn die in Thüringen gesichert rechtsextreme AfD in diesem Bundesland regieren würde, so zeigt der Autor, dann könnte sie nach und nach neue Richter einsetzen; sie könnte damit die Macht der Exekutive ausweiten; sie könnte beispielsweise eine Ausländerbehörde für die von ihr so geliebte „Remigration“ einsetzen; sie könnte die Spitze des Verfassungsschutzes auswechseln und damit durch eine Personalie dessen Arbeitsweise empfindlich verändern; sie könnte also, auf ganz legitimen Wegen, die Verfassung langsam aushöhlen.
2025 steht das alles im Konjunktiv. Aber: Die AfD ist stärkste Partei in Thüringen. 32 Prozent der wählenden Thüringer und Thüringerinnen haben sich an der Urne für eine rechtsextreme Partei entschieden. Die AfD weiß diesen Machtzuwachs zu nutzen. Dank Sperrminorität verhindert sie auch im Sommer 2025 noch die Besetzung des Richter-Wahlausschusses und des Staatsanwälte-Wahlausschusses. In der Folge können Richter und Staatsanwälte auf Lebenszeit nicht benannt werden. Auch so kann man die Funktionsweise des Staates schwächen.
Zerstörung geht schnell, die Wiedererrichtung demokratisch-liberaler Strukturen ist sehr viel mühsamer. Ein Seitenblick nach Polen nach acht Jahren PiS-Regierung raubt auch die letzten Illusionen, man könne die Arbeit autoritärer Regime einfach und schnell rückabwickeln.
Wir haben viel zu verlieren. Eine starke Rechtsstaatlichkeit, Minderheitenschutz, ein rechenschaftspflichtiges Parlament. Sie schützen unsere Rechte und das Leben jedes Einzelnen, jeder Einzelnen. Sie garantieren die Freiheit der Wissenschaft, deren Erkenntnisse gehört, gegeneinander abgewogen und, wo nötig, politisch umgesetzt werden können. Nur eine solch offene Gesellschaft wird den multiplen Herausforderungen der Zukunft gerecht.
Wir haben viel zu verteidigen. Dafür braucht es Viele – ja: alle, die diese offene Gesellschaft nicht verlieren wollen. Bei einer Veranstaltung der Evangelischen Akademie zu Berlin im Juni 2025 beschrieb die deutsch-amerikanische Politologin Cathryn Clüver Ashbrook, dass es sie immer wieder fassungslos mache, wie Menschen in einflussreichen Positionen bisweilen nur bedauernd mit den Schultern zuckten und keinerlei Handlungskonsequenzen bei sich sähen, nachdem sie ihnen erläutert habe, wie Demokratien von autoritären Kräften übernommen werden können. Es gelte demgegenüber aus der Passivität herauszukommen und im je eigenen Feld immer wieder für eine liberale Demokratie zu wirken, betonte Clüver Ashbrook.
Das gilt ohne Frage auch für die evangelische Kirche. Es ist eine intellektuelle Binsenweisheit, dass die Demokratie nicht originär zum Protestantismus gehörte. Auch keine neue Erkenntnis ist, dass die Kirche in den letzten Jahrzehnten einen dramatischen Bedeutungsverlust erlitten hat. Aber es wäre zynisch, daraus abzuleiten, dass uns das alles gar nichts angeht, dass wir in protestantischer Bescheidenheit erst einmal vor der eigenen Türe kehren sollten. Denn wenn wir dann wieder aufschauen von unserem Besen, dann könnte diese Welt eine andere sein.
Wie gut, dass die evangelische Kirche immer wieder laut ist. Dass sie sich in Wort und Tat einsetzt für ein menschenrechtskonforme Flüchtlingspolitik. Dass sie die AfD als das benennt, was diese ist: als Partei, deren Menschenbild nicht in Einklang zu bringen ist mit dem Evangelium und mit der man daher keine Allianzen eingehen darf, weder in Kirche und Diakonie noch in der Politik. Solange sich die kirchlichen Akteure daran halten, nur Sachkritik vor dem Hintergrund des Evangeliums zu üben, spricht es nicht gegen die Kirche, wenn auch demokratische Parteien diese Einmischung nicht gut finden. Und die Kirche als Institution täte gut daran, jene, die sich zu Wort melden, auch zu schützen. Denn der persönliche Druck auf diese Akteure wird stärker. Wir brauchen sie aber.
Mindestens ebenso wichtig ist das Wirken vor Ort. In Gemeinden. In den Bildungseinrichtungen, von Kindergärten bis Hochschulen. In Evangelischen Akademien. In allen diakonischen Einrichtungen. Überall dort kann geworben werden für eine offene Gesellschaft, die die Entfaltung jedes Einzelnen ermöglicht. Gerade auf lokaler Ebene können Menschen, können sich Institutionen verbünden: Kirche kann Vernetzung! Sie kann auf ein über Jahrhunderte gewachsenes Netzwerk zurückgreifen, es fortspinnen.
Das alles klingt nicht nach dem großen Wurf. Es steht aber zu befürchten, dass es den auch gar nicht gibt. Sondern dass es um viele einzelne, kleine Bausteine gehen wird. Was wäre, wenn die Vielen sich zusammenschließen? Ich hoffe, wir werden das sehen.
Dieser Artikel unserer Direktorin Friederike Krippner ist am 1.08.2022 in der evangelischen Monatszeitschrift zeitzeichen erschienen, zu deren Herausgeber*innenkreis Krippner gehört.
Das Thema „Demokratie in Gefahr“ spielt eine große Rolle in der täglichen Arbeit der Evangelischen Akademie zu Berlin. Im Vorfeld der Landtagswahlen 2024 hat sie darüber hinaus gemeinsam mit den anderen vier Evangelischen Akademien in Ostdeutschland eine Gesprächsreihe begonnen, in der ihre Direktorinnen und Direktoren mit Expertinnen und Experten aus Politik und Wissenschaft Themen der liberalen Demokratie diskutieren. Daraus entstehen bis heute gemeinsame Stellungnahmen zur Demokratie.
Erschienen am 11.08.2025
Aktualisiert am 12.08.2025