„Was anders ist, kann weg“
Friederike Krippner über traditionelle Familienbilder in den Sozialen Medien

© EAzB / Karin Baumann
In den Sozialen Medien propagieren so genannte Tradwives die heterogene Kleinfamilie mit traditioneller Rollentrennung als Ideal. Das ist hoch problematisch, weil sie ihre Familienbilder als die einzig wahren darstellen und oft mit Wahl-Empfehlungen für Parteien verbinden, die traditionelle Rollenbilder vertreten. Viele Tradwives beziehen sich zudem auf biblische Texte. Ein Kommentar vor dem Hintergrund der jüngsten Stellungnahme zur Demokratie „Das Private ist politisch“, in der sich die Direktorinnen und Direktoren der fünf ostdeutschen Evangelischen Akademien für Gleichstellung als gesellschaftlichen Auftrag aussprechen.
Von Friederike Krippner
„#Tradewife“ heißt aktuell eine Werbekampagne der Vermögensverwaltung „Scalable Capital“. Ein „e“ mehr oder weniger macht hier den Witz: Die Plattform will Frauen ansprechen, die „Trade“ betreiben, die also mit Aktien und Kryptowährung handeln. Die Kampagne nimmt damit ironischen Bezug auf die #Tradwife, zusammengesetzt aus den englischen Wörtern für „traditionell“ (traditional) und „Ehefrau“ (wife), die so ziemlich das Gegenteil verkörpert.
Tradwives trenden auf Social Media mit Filmchen, in denen perfekt gestylte Frauen zeigen, wie sie sich für ihre Ehemänner hübsch machen, bis zu acht Kinder aufziehen, nebenbei Vollkornbrot backen – und überhaupt jeden Tag mehrere gesunde und ästhetisch ansprechende Mahlzeiten zubereiten. Diese werden dann in wunderbar geputzten und eingerichteten Häusern verzehrt. Männer sind in den Videos unterrepräsentiert. Irgendwer muss ja das Geld verdienen.
Und warum auch nicht? Wer mag nicht schöne Kleidung, selbstgebackenes Brot und hübsche Möbel? Kinder aufziehen ist eine großartige Aufgabe. Wie Menschen Sorge- und Lohnarbeit verteilen, ist ihnen freigestellt. Und all dies ist doch ohnehin Privatsache.
Allerdings: Das Private wird auf Instagram bei Profilen mit bis zu zehn Millionen Followern dann doch ziemlich öffentlich. Viele Tradwives stammen aus dem evangelikalen Milieu und runden ihre appetitlichen Bilder von aufopfernder Fürsorge mit Bibelzitaten ab. Aus den USA schwappte der Trend nach Europa. Auch deutschsprachige „Christfluencerinnen“, also christliche Influencerinnen in den sozialen Medien, präsentieren nun – gern neben Schminktipps oder Kochrezepten – ihre Konzepte von Partnerschaft und Familie: Männer übernehmen die Führung und Frauen ordnen sich (selbstverständlich freiwillig!) unter.
Dass das vermeintlich Private nicht nur öffentlich, sondern auch handfest politisch ist, das wird spätestens dann deutlich, wenn auf solchen Profilen nahegelegt wird, doch bitte jene Partei zu wählen, die ein solch traditionelles Familienbild in ihrem Wahlprogramm vertritt.
Die Strategie ist so simpel wie perfide. Artikuliert wird der Vorwurf, dass wahlweise der Staat, die progressive Gesellschaft oder auch die verfasste Kirche sich einmischen würden ins ganz und gar Private: die Familie. Im gleichen Schritt aber wird genau dieser Raum nicht nur gnadenlos öffentlich ausgestellt, sondern auch massiv politisiert, indem die Tradwives die heterosexuelle Kleinfamilie mit klarer Rollenteilung als einzig wahre Form der Familie propagieren. Was anders ist, kann weg oder ist jedenfalls weniger wert.
Es ist dabei kein Treppenwitz, dass die meisten der Frauen, die dieses Modell mit viel Erfolg vertreten, natürlich doch einem Beruf nachgehen: dem der Influencerin. Viele der im Netz sehr erfolgreichen Tradwives dürften also durchaus ein eigenes Gehalt haben, obgleich ihre Profile anderes suggerieren. Es ist für sie zu hoffen. Denn auch hier wird es politisch.
Das Statistische Bundesamt meldet Jahr für Jahr, dass es nicht nur eine ungleiche Bezahlung von Frauen und Männern für Lohnarbeit gibt sowie viel mehr unbezahlte Arbeit von Frauen als von Männern, sondern dass wir in Deutschland auch ein dramatisches „Gender-Pension-Gap“ haben: Alterseinkünfte von Frauen sind ungefähr ein knappes Drittel niedriger als die von Männern. Der Social Media Trend birgt im echten Leben also durchaus Gefahren.
Einerseits ist nicht anzunehmen, dass Frauen nunmehr reihenweise Tradwives werden. Aus ganz schlichten, möglicherweise auch beklagenswerten Gründen: Die wenigsten Familien können es sich leisten, dass eine Erwachsene gar nicht arbeiten geht. Andererseits aber kann uns die Anziehungskraft der Bilder dieser Influencerinnen nicht kaltlassen. Sie drückt sich in den Zahlen ihrer Follower aus. Nach den Sehnsüchten, die dahinterstehen, gilt es zu fragen.
Als evangelische Kirche haben wir aber auch noch eine ganz spezifische Aufgabe. Es bedarf der theologischen Auseinandersetzung mit den explizit christlichen Influencerinnen. Diese Tradwives beziehen sich auf biblische Texte. Sie unterschlagen dabei aber die kulturelle, literarische und historische Kontextualisierung dieser Texte, also das, was man historisch-kritische Exegese nennt. Das sollten wir nicht so stehenlassen.
Der Gastkommentar von Friederike Krippner, Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin, erschien zuerst in Nr. 25/2025 (15.6.2025) der evangelischen Wochenzeitung „Die Kirche“.
Erschienen am 12.06.2025
Aktualisiert am 16.06.2025