Schwangere Frauen werden in Deutschland überwiegend in gynäkologischen Praxen versorgt, nur wenige Schwangere nehmen das Angebot von Hebammen wahr. Die Pränataldiagnostik (PND) ist selbstverständlicher Bestandteil der Schwangerenvorsorge durch GynäkologInnen geworden. Das Angebot wird ständig ausgeweitet und immer mehr in Anspruch genommen. Durch die Tests werden Krankheiten und Behinderungen diagnostiziert, die nur in Ausnahmefällen behandelbar sind, was zu schwierigen Entscheidungssituationen führt. In einer erheblichen Anzahl von Tests wird eine Behinderung nicht sicher festgestellt, sondern das Testergebnis weist nur auf eine höhere Wahrscheinlichkeit für eine Behinderung hin.
Im Falle eines positiven Befundes sind die zukünftigen Eltern mit der Entscheidung konfrontiert, ob die Schwangerschaft fortgesetzt oder abgebrochen werden soll. In 60 90% entscheiden sie sich für den Abbruch.
Grundsätzlich soll die angebotene Beratung es den Paaren ermöglichen, ihre Entscheidungen auf einer informierten Grundlage zu treffen. Dazu gibt es verschiedene Beratungskonzepte, so z.B. humangenetische Beratungsstellen oder eine psychosoziale Beratung. Allerdings finden diese Beratungen nicht in ausreichendem Maße statt.
Die Pränataldiagnostik, die bisher nicht gesetzlich geregelt ist, ist gesellschaftlich umstritten. Einerseits wird sie als Stärkung der Autonomie von Frauen begrüßt. Andererseits steht sie im Verdacht, die Achtung von Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen zu untergraben und ihr Lebensrecht in Frage zu stellen. Die Enquete Kommission "Recht und Ethik der modernen Medizin" merkt dazu an: "Gesellschaftlich scheint sich eine Haltung durchzusetzen, die mit der Frage: 'Wer will schon ein behindertes Kind?' zusammengefasst werden kann." Auch wird hinterfragt, ob tatsächlich die Autonomie von Frauen gefördert wird, wenn Testergebnisse fast "zwangsläufig" zur nächsten Entscheidung führen.
Im Mittelpunkt der Tagung steht die interdisziplinäre Diskussion über Ziele und Praxis der gegenwärtigen Pränataldiagnostik. Welche Ziele hat sie aus Sicht der Fachgesellschaften, der Praktiker, der Frauen und ihren Partnern und von Menschen mit Behinderung? Was heißt "informed consent" in der Theorie und Praxis? Was folgt aus dem herrschenden Konzept der Risikoschwangerschaft? Welche strukturellen und inhaltlichen Veränderungen in der Beratungspraxis sind denkbar, um eine Beratung zu gewährleisten, die die zukünftigen Eltern wirksam bei ihrem Entscheidungsprozess unterstützt? Welchen Einfluss haben Bilder von Behinderung und Beratungskonzepte auf die Entscheidung der zukünftigen Eltern über die Fortsetzung oder den Abbruch der Schwangerschaft? Welchen Verbesserungsbedarf gibt es bei der Unterstützung von Familien mit einem behinderten Kind?
Wir laden Sie herzlich ein.
Simone Ehm,
Evangelische Akademie zu Berlin
Dr. Katrin Grüber,
Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft, Berlin
Freitag, 29. April 2005
10.15 Uhr Anmeldung, kleiner Imbiss
11.00 Uhr Begrüßung und Einführung
Simone Ehm, Evangelische Akademie zu Berlin
Dr. Katrin Grüber, Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft, Berlin
Hauptsache gesund? Pränataldiagnostik Behinderung Menschenbild
Bildpräsentation Erstellt von den Bistümern Limburg und Rottenburg Stuttgart
11.15 Uhr PND als Teil der Schwangerenvorsorge in Deutschland gesellschaftspolitische, ethische und rechtliche Fragestellungen Medizinische Praxis und Beratungssituation
Dr. Kay Möller, Gynäkologe, Gemeinschaftspraxis FERA, Berlin
Geltende Rechtslage
Dr. Katrin Grüber, Institut Mensch, Ethik und Wissenschaft, Berlin
12.30 Uhr Mittagessen
13.30 Uhr Orientierung am Risiko oder Zeit für Gute Hoffnung?
Staatliche Rahmenbedingungen und Praxis der PND in ausgewählten europäischen Ländern
Niederlande
Prof. Marli Huijer, Philosophin und Medizinerin, Fakultät für Philosophie, Universität Groningen,
Österreich
Dr. Bernhard Wieser, Interuniversitäres Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur, Graz,
Anschließende Diskussion
15.30 Uhr Kaffeepause
16.00 Uhr Wer berät wie bei PND?
Perspektive der psychosozialen Beratung
Gisela Pingen Rainer, Sozialdienst katholischer Frauen e.V., Dortmund
Perspektive der Gynäkologie
Dr. Kay Möller, Gynäkologe, Gemeinschaftspraxis FERA, Berlin
Perspektive der humangenetischen Beratung
Prof. Dr. Heidemarie Neitzel, Humangenetikerin, Institut für Humangenetik, Charité, Berlin
Perspektive der Hebammen
Dr. Angelica Ensel, Hebamme und Ethnologin, Hamburg
18.30 Uhr Abendessen
Samstag, 30. April 2005
9.00 Uhr Was ist normal? Der Umgang mit Behinderung in der Gesellschaft und die Praxis der PND
Prof. Dr. Anne Waldschmidt, Soziologin, Soziologie der Behinderung und Sozialpolitik, Universität zu Köln
9.30 Uhr PND - Gut beraten
Arbeitsgruppenphase:
1. Information vor PND - Beruhigung oder Beunruhigung?
Prof. Dr. Heidemarie Neitzel, Humangenetikerin, Institut für Human
genetik, Charité, Berlin
Dr. Bernhard Wieser, Interuniversitäres Forschungszentrum für Technik, Arbeit und Kultur, Graz, Österreich
2. Diagnoseübermittlung - Umgang mit Wahrscheinlichkeit
PD Dr. med. Dipl. Psych. Ingrid Kowalcek, Psychosomatische Gynäkologie und Geburtshilfe, Universitätsklinikum Schleswig Holstein Campus Lübeck
ElternvertreterIn
3. Beratung nach positivem PND Befund - Umgang mit einem ethischen Dilemma
Marion Baldus, Dipl. Pädagogin, Forschungsprojekt "Von der Diagnose zur Entscheidung Entscheidungsprozesse von Frauen im Kontext pränataler Diagnostik", Heidelberg
Claudia Langanki , Arbeitsgemeinschaft Spina Bifida und Hydrocephalus e. v. (ASbH)
12.00 Uhr Abschlusspodium
Ethische Konflikte, individuelle und gesellschaftliche Entscheidungen und Dilemmata Herausforderungen in der Beratung
Dr. Ingrid Kowalcek
Prof. Dr. Heidemarie Neitzel
Prof. Dr. Anne Waldschmidt
ElternvertreterIn
12.45 Uhr Mittagessen und Ende der Veranstaltung