Im September 1964, wenige Wochen bevor ihm der Friedensnobelpreis zuerkannt wurde, besuchte Martin Luther King auf Einladung des damaligen Regierenden Bürgermeisters Willy Brandt das geteilte Berlin. Er sprach vor 20.000 Zuhörerinnen und Zuhörern zum „Tag der Kirche“ in der Waldbühne. Bei einer Zeremonie im Rathaus Schöneberg erinnerte er an den Besuch von John F. Kennedy, der ein Jahr zuvor ermordet worden war. Er ließ es sich nicht nehmen, auch seine „dear Christian friends in East Berlin” zu besuchen. In der Marienkirche und der Sophienkirche richtete King Mut machende Worte mit einer deutlichen politischen Botschaft an Tausende wartender Menschen: „Es gibt eine gemeinsame Menschlichkeit, die uns für die Leiden untereinander empfindlich macht. (…) In diesem Glauben werden wir miteinander arbeiten, miteinander beten, miteinander für die Freiheit aufstehen in der Gewissheit, dass wir eines Tages frei sein werden“.
Vor dem Hintergrund aktueller Krisen und Kriege, wachsender innergesellschaftlicher Ungerechtigkeiten und Gefahren für die Demokratie lohnt es, Martin Luther Kings Konzept der aktiven Gewaltfreiheit neu zu lesen. Denn Kings Überzeugung für die „zusammenhängenden Übel von Rassismus, Armut und Krieg“ ist von bleibender Aktualität. Für Martin Luther King gehörten christlicher Glaube und Weltverantwortung untrennbar zusammen. Seine Konzepte von Gerechtigkeit und Frieden gründen sich in seinem theologischen Verständnis und seiner spirituellen Praxis von individueller Menschenwürde und universellen Menschenrechten. Was heißt das heute, im Jahr 2024?
Unser Gesprächspartner zu diesem Thema ist Prof. Dr. Michael Haspel. Er lehrt Systematische Theologie am Martin-Luther-Institut der Universität Erfurt und an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Seit vielen Jahren forscht er intensiv zu Leben und Werk Martin Luther Kings. Ende August ist sein neues Buch "Wer nicht liebt, steht vor dem Nichts!" über Martin Luther Kings Spiritualität als Grundlage seines Kampfes gegen Rassismus und Ungerechtigkeit erschienen.