Das Alte bleibt im Neuen stets präsent

Das Alte bleibt im Neuen stets präsent

Adventsblog „Geburt und Anfang“ │ Christian Staffa

© table / photocase.de

Weihnachten und Schöpfung - Geburt und Anfang - sind in der christlichen Tradition eng mit der Symbolik des Lichts verbunden. Auch auf den Fotos zu unserem Adventsblog steht das Licht im Mittelpunkt.

Im christlichen Verständnis der Bibel ist das Alte im Neuen stets präsent: die jüdische in der christlichen Bibel, das Alte im Neuen Testament. Warum ist so schwer zu verstehen, dass das „Wesen des Christentums“ nicht darin liegen kann, das Alte abzuwerten oder für überholt zu erklären?

„Geliebte, ich schreibe euch kein neues Gebot, sondern ein altes Gebot, das ihr von Anfang an hattet. Das alte Gebot ist das Wort, das ihr gehört habt. Gleichzeitig ist das Gebot dass ich euch schreibe, neu. Es ist in Jesus und euch verwirklicht, denn die Dunkelheit vergeht und das wahre Licht scheint schon.“ (1. Joh 2,7-8)

Diese Gleichzeitigkeit von Alt und Neu ist verwirrend und doch zentral für das christliche Verständnis von unserer gleichzeitig jüdischen und christlichen Bibel. Denn das Alte ist im Neuen immer präsent, ja die Gebote bleiben im Neuen ganz die Alten. Ohne die Verheißungen der Hebräischen Bibel, des Alten Testamentes, wüssten wir ja nicht, was das Neue, das Messianische für uns Christ*innen bedeuten könnte. Alle inhaltliche Füllung christlicher Praxis geht neutestamentlich von den Glaubenserfahrungen und Verheißungen Israels aus.

Warum ist es so schwer zu verstehen, dass dieses „Wesen des Christentums“ nicht bedeuten darf, das Alte zu denunzieren oder gleichsam chronologisch zum Vergangenen oder Verworfenen zu erklären? Die Adventsgeschichte lebt von alttestamentlichen Verheißungen und Parallelisierungen: die Flucht nach Ägypten, der Kindermord, die Völker, die in Gestalt der Besucher an der Krippe ihre Knie beugen und so weiter. Also nichts Neues unter Gottes Sonne und Mond?

Im ersten Johannesbrief sind die alten Gebote neu ins Herz, ins Innere gelegt. Dies erweist sich dann durch die Liebe, die die Angesprochenen ihren Glaubensgeschwistern angedeihen lassen. Das verweist uns wieder an das Alte Testament – einerseits als Quelle der Gebote der Nächstenliebe und Fremdenwertschätzung, andererseits im Bild des Jeremia (31,33), dass der neue Bund – der inhaltlich ganz der alte ist – ins Herz gelegt werde.

Das Liebesgebot ist im Judentum wie auch bei dem schriftgelehrten Völkerapostel Paulus die Quintessenz der Thora (Röm 13,9), die „durch das ganze Gesetz hindurchgeht, das von Liebe durchdrungen ist in allen seinen Äußerungen“. So formulierte es  der berühmte Rabbiner und Gelehrte jüdischer Wissenschaft des 19. Jahrhunderts, Abraham Geiger. Dieses Liebesgebot fächert sich in die Zehn Gebote und viele weitere Lebensorientierungen auf,  im rabbinischen Judentum in 613 Gebote.

Aber was sagt mir das über das Neue? Ja, es gibt Neues, das aber gar nicht zu beschreiben ist ohne das Alte und den Dialog mit dem sehr gegenwärtigen Alten. Neu ist ganz sicher die Hinwendung des Gottes Israels zu den Völkern. Das Neue wäre in dieser Perspektive dann die übergreifende Geschwisterschaft und die Liebe der Völker zu Israel, zunächst gedacht in einer Gemeinde aus Juden und Christen – der Abbau der Trennungen, der leider historisch sich kirchlich verschuldet in sein Gegenteil verkehrte.

Das Neue wurde vergötzt, das Alte funktional zugerichtet integriert und dessen Träger*innen im wahrsten Sinne verteufelt. Etwas banal assoziierend, drängt sich ein Vergleich mit einem nicht ganz seltenen Innovationswahn auf, der im Alten nichts Produktives zu entdecken vermag. Er behauptet, sich immer neu zu erfinden, gleichsam den Advent ohne Vorgeschichte und Zitate zu feiern.  Projektfinanzierungen, die gebunden sind an immer neue Formen und keine Kontinuität darstellen dürfen, sind eine Wirkungsweise dieses Wahns. Auch wenn diese Assoziation fast unzulässig ist, könnte sie doch zu denken geben.

Advent könnte Gelegenheit sein, das Ineinander von Alt und Neu einmal mehr zu buchstabieren. Den Einspruch gegen das Messianische an dem Christus-Geschehen sollten wir nicht wegwischen, sondern mit Blick auf diese Welt und auch auf unsere Kirchen ernst nehmen, indem wir gemäß den Geboten handeln, die im Liebesgebot in unseren Glaubensgeschichten zusammenfließen.

Christian Staffa ist Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche an der Evangelischen Akademie zu Berlin sowie Beauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland für den Kampf gegen Antisemitismus.

Geburt und Anfang. Ein Adventsblog

„Und sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe.“ So knapp beschreibt der Evangelist Lukas Jesu Geburt. Der Akt der Geburt, ein halber Vers. Dieser halbe Vers hat es allerdings in sich. Denn damit ist alles anders als zuvor. Nun ist der Heiland in der …

Dr. Christian Staffa

Studienleiter für Demokratische Kultur und Kirche

Telefon (030) 203 55 - 411

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