Brücken gegen die Abschottung

Brücken gegen die Abschottung

Erfahrungen aus einem digitalen Begegnungsprojekt

© Elvira Hüttner

Heimbewohner Eduard Holoch mit seinem digitalen Tandem-Partner Günther Zorn (auf dem Tablet-Display)

Eduard Holoch (79 Jahre) und Günther Zorn (72) haben sich mitten im ersten Corona-Shutdown per Videochat kennengelernt. Die örtliche Kirchengemeinde und das Evangelische Altenzentrum Bruchsal, in dem Holoch lebt, brachten per Tablet Menschen im Heim und außerhalb in Kontakt. Ein Gespräch über Chancen und Grenzen des Digitalen in einer Krisensituation.

Die pandemiebedingten Kontaktbeschränkungen brachten im März 2020 schlagartig Besuche und Sozialleben in Senioren- und Pflegeeinrichtungen zum Erliegen. Im badischen Bruchsal entstand in dieser Situation das Projekt „Sorgende Gemeinde“: Hochbetagte und pflegebedürftige Menschen im Evangelischen Altenzentrum Bruchsal wurden mit Tablet-Computern ausgestattet und mit Senioren in der örtlichen Luthergemeinde in Kontakt gebracht. Kooperationspartner waren auch eine lokale IT-Firma und ein regionales Digitalisierungszentrum. Die Erfahrungen aus diesem und ähnlichen Projekten sind ein Thema bei unserem Fachgespräch „Kann man zu existenziellen Fragen zoomen, skypen, chatten?“ am 12. Oktober.

Im Gespräch bei Kaffee und Kuchen ist schnell die Vertrautheit zu spüren, die in mehr als einem Jahr wöchentlicher Begegnungen zwischen Heimbewohner Eduard Holoch und Günther Zorn, der sich ehrenamtlich in der Luthergemeinde engagiert, entstanden ist. Mit am Tisch sitzt auch Elvira Hüttner, die das Projekt „Sorgende Gemeinde“ als Sozialpädagogin des Altenzentrums betreut hat.

Wie war das für Sie, als das Altenzentrum plötzlich von der Außenwelt abgeschnitten war?

Eduard Holoch: Das war schrecklich. Man war plötzlich ganz eingesperrt. Bevor Corona kam, haben meine Tochter und meine Schwester mich immer besucht. Und auf einmal kam niemand mehr rein und niemand konnte raus. Wir waren zwar gut versorgt, aber abgeschnitten von allem.

Günther Zorn: In der Luthergemeinde kam im Sommer 2020 die Überlegung auf, jetzt, wo Altenheime und Pflegeeinrichtungen weitestgehend abgeschottet waren, mit einer leicht verfügbaren Technik Brücken in diesen Bereich hinein zu bauen. Wir haben zehn Tablets angeschafft, und die sind aufgeteilt worden: fünf an Bewohner des Altenzentrums und fünf an Gemeindemitglieder, so dass wir Tandems bilden konnten. Mein erster Auftritt mit Tablet war die reine Katastrophe, weil ich das Gerät quasi zum ersten Mal in der Hand hatte. Aber wir haben das dann zusammen hingekriegt.

Hatten Sie vor dem Projekt Erfahrungen mit Tablet-Computern oder mit Videokonferenz-Apps?

Holoch: Ein Laptop hatte ich schon länger und habe es mitgebracht, als ich ins Altenzentrum gezogen bin. Ein Smartphone hatte ich auch schon. Mit dem Tablet ging es deshalb eigentlich ganz gut. Aber irgendwann hat es nur noch upgedatet und upgedatet, und dann ging gar nichts mehr.

Elvira Hüttner: Die App, die uns eine IT-Firma empfohlen hatte, musste nach einem Jahr upgedatet werden.  Und dazu brauchten wir die Firma, wie wir dann festgestellt haben.

Zorn: Diese Panne hatte aber auch etwas Gutes: Nachdem online gar nichts mehr ging, war es naheliegend, dass wir uns jetzt zum Kaffee treffen. Zum Glück passierte das zu einer Zeit, als das Infektionsgeschehen das auch wieder zuließ.

Haben Sie bei den digitalen Treffen auch über sehr persönliche Themen gesprochen?

Holoch: Wir haben uns sofort verstanden. Es gab gleich gemeinsame Interessen – Comics, Jazz, Blues, Musik ganz allgemein. Auch Literatur und Kunst. Um Persönliches ging es nicht so viel. Wir haben genug andere Themen gehabt. Ich habe zum Beispiel lange gar nicht gewusst, ob der Her Zorn verheiratet ist.

Zorn: Das Digitale war für uns ein gutes Hilfsmittel unter den besonderen Rahmenbedingungen, dass es damals kaum Kontaktmöglichkeiten gab. Aber die Betonung liegt auf „Hilfsmittel“ – damals war nur das möglich. Heute ist natürlich viel mehr möglich. Im direkten Gespräch ergibt sich viel mehr ein Thema aus dem anderen, da kommt das Gespräch viel mehr in einen Fluss. Ich möchte die direkten Begegnungen auf keinen Fall missen; die waren mehr oder weniger eine folgerichtige Entwicklung aus dem, was davor war.

Wie groß waren die Hürden, mit der Technik umzugehen? Wie wichtig sind dafür Vorerfahrungen der Teilnehmer*innen?

Hüttner: Vom Haptischen und von der Technik her ist es immer noch sehr kompliziert für viele Menschen, mit solchen Geräten zurechtzukommen. Wir hatten zum Beispiel auch 95-Jährige, die hatten keine Vorerfahrungen wie Herr Holoch. Da musste immer ein Mitarbeiter die Technik starten. Sie waren also immer abhängig von jemanden, der das Gespräch unterstützt. Manchmal ist es auch körperlich nicht so einfach. Eine Bewohnerin hatte Rheuma und hat die Wischgesten nicht hingekriegt. Und: Die Apps sind alle auf Englisch. Wenn es da „Account“ oder Ähnliches heißt, dann können viele damit nichts anfangen. Deshalb haben wir auf Anraten einer IT-Firma eine deutsche App genommen, aber die hatten auch wieder nicht alle Familienmitglieder der Bewohner im Projekt.

Holoch: Meine Tochter hat mich vor etwa 20 Jahren dazu genötigt, einen Computer zu benutzen. Die hat gesagt, du machst das jetzt. Bei unseren digitalen Treffen bin ich dann eigentlich gut klargekommen mit der Technik – bis zu dem Zeitpunkt, wo plötzlich gar nichts mehr ging.

Zorn: Wenn uns so ein Systemabsturz im Januar passiert wäre, wäre das schlecht gewesen für das Projekt, weil da noch keine Begegnungen möglich waren. Weil uns das im Frühjahr passiert ist, hatte es dann aber schon fast sein Gutes, weil es uns den Anstoß gegeben hat, zu persönlichen Treffen überzugehen.

Holoch: Es war auf jeden Fall schön, dass sie uns im Heim diese digitalen Treffen ermöglicht haben. Von alleine wäre ich da nicht drauf gekommen.

Das Interview führte Christoph Dreyer von der Evangelischen Akademie zu Berlin.

2021 12 Okt

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Simone Ehm

Studienleiterin für Ethik in den Naturwissenschaften

Telefon (030) 203 55 - 502

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