Have yourself a merry little Christmas

Have yourself a merry little Christmas

Vom Durchwursteln und vom Strahlen | Blog | Friederike Krippner

Die Variationen, die im Laufe der Jahre am Text der bekannten US-Weihnachtsballade vorgenommen wurden, akzentuieren je verschieden das gleiche Thema: eine Liebeserklärung an das Weihnachtsfest auch in schwierigen Zeiten.

„Have yourself a merry little Christmas, let your heart be light / Next year all our troubles will be out of sight …“ – so sang Judy Garland 1944 im Film-Muscial Meet me in St. Louis. Die Ballade wurde ein Hit. Unzählige Male neu interpretiert, gehört sie seit nunmehr knapp 80 Jahren zu den Evergreens der Weihnachtsmusik.

„Mach dir ein schönes, nettes Weihnachtsfest, lass dein Herz leicht sein. / Nächstes Jahr sind alle unsere Sorgen vergessen“ – die melancholische Grundstimmung des Songs ist ein einziges großes „Trotzdem“: Gerade sieht es schlecht aus, mach Dir trotzdem ein schönes Weihnachten. Dieses „Trotzdem“ mag auch zur allgemeinen Gemütsstimmung 2022 passen. Denn dieses Jahr hat uns ohne Frage auf besondere Weise gefordert: Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine bringt Leid und Schuld, die immer mit Krieg einhergehen, in die Mitte unserer Gesellschaft. Die Klimaerwärmung wird auch in unseren Breitengraden immer direkter erfahrbar. Deutschland debattiert derweil erbittert darüber, wie viel zivilen Widerstand es erträgt. Zugleich wächst die Schere zwischen Arm und Reich – und damit schwindet für viele Menschen die Chance auf Teilhabe und gesellschaftlichen Einfluss. Lange unter dem Radar der Aufmerksamkeit, zeigt sich in den überlasteten Kinderpraxen und -stationen, wie wenig wir die Kleinsten zuweilen im Blick haben. Und das selbstherrliche Agieren des US-Milliardärs Elon Musk bei Twitter führt uns vor, wie vulnerabel unsere Informationsplattformen sind und wie gefährlich das für demokratische Gesellschaften ist.

„Have yourself a mery little Christmas“ also, das kann man auch 2022 gut hören. Ursprünglich war der Song noch viel düsterer geplant. Die Komponisten Hugh Martin und Ralph Blane hatten 1943 zunächst die Melodie komponiert und dichteten darauf: „Have yourself a merry little Christmas / It may be your last. / Next year we will all be living in the past.“ Mitten im Zweiten Weltkrieg traf die Vorstellung, dies könne das letzte Weihnachten sein und alle könnten im nächsten Jahr schon Vergangenheit sein, sicher sehr unmittelbar einen Nerv. Aber gerade weil sie auf eine solche emotionale Reaktion setzen musste, erschien der Song der Schauspielerin und Sängerin Judy Garland als zu düster. Dies umso mehr, als sie das Lied in der Filmrolle als ältere Schwester Esther ihrer kleinen, siebenjährigen Schwester Tootie singen sollte. Nach ein wenig Widerstand änderte Martin den Text schließlich in die etwas hoffnungsfroheren Eingangsverse, in denen aber immer noch die Grundstimmung herrscht, dass man auf bessere Zeiten hoffen muss.

Aber das widerständige Potenzial der Ballade, in der eben auch eine Spur Trotz mitschwingt, ist in beiden Versionen spürbar: Feiert Weihnachten, gerade auch dann, wenn es düster ist. Damit passt die Ballade unmittelbar zur Geschichte der Geburt Jesu, wie sie im Lukas-Evangelium überliefert ist. Denn die Weihnachtsgeschichte ist ja ein einziges großes „Trotzdem“. Alles spricht gegen das Weihnachtsgeschehen: Da ist ein wahrscheinlich 14- oder 15-jähriges Mädchen, verheiratet mit einem einfachen Zimmermann. Beide müssen die Heimat verlassen, obwohl das Mädchen doch hochschwanger ist, und dann, so erzählt es Lukas, kriegen sie nicht mal eine Herberge. Maria muss in einem Stall gebären. Damit entspricht die Geschichte so gar nicht einer antiken Weltsicht, in der großartige Geburtsgeschichten die spätere Macht oder Göttlichkeit von Persönlichkeiten unterstreichen sollten. Alles spricht dagegen, dass sich hier Großes anbahnt – und trotzdem ist es genauso. Und hier liegt natürlich auch das Ungeheuerliche der Weihnachtsgeschichte: Gottes Menschwerdung ist gekennzeichnet durch äußere Umstände, die an Banalität und Vulnerabilität nicht zu übertreffen sind. Trotzdem wird Jesus geboren, in diesem Stall. So offenbart sich das so tröstliche wie widerständige Potenzial dieser Geschichte.

Zurück zu unserer Ballade: Zur großen Popularität des ursprünglichen Filmsongs trug bei, dass schon 1947 Frank Sinatra den Song adaptierte. Ihm erschien das Ende wiederum als zu wenig glanzvoll. In der Ursprungsversion hieß es: „Someday soon we all will be together / if the fates allow. / Until then, we'll have to muddle through somehow. / So have yourself a merry little Christmas now.“ Also: „Bald werden wir zusammen sein, / wenn das Schicksal es erlaubt. / Bis dahin müssen wir uns irgendwie durchwursteln. / Mach dir ein schönes, nettes Weihnachtsfest.“ Die melancholisch-tröstliche Textzeile „we’ll have to muddle through somehow“ – die den Eindruck vermittelt, wenn die Lebensumstände gerade nicht mehr hergeben, kann auch Durchzuwursteln reichen – ersetzte Martin für Sinatra durch das glanzvollere „Hang a shining star upon the highest bough“, also „Hänge einen strahlenden Stern an den höchsten Zweig“.

Beide Versionen bestehen bis heute nebeneinander. Und vielleicht mögen Sie ja beides tun an diesem Weihnachten 2022: gnädig sein mit sich selbst, wenn es manchmal nur zum Durchwursteln reicht – und trotzdem einen leuchtenden Stern in Ihrem Weihnachtsbaum aufhängen.

Wie Sie dieses Fest auch feiern: Ich wünsche Ihnen gesegnete Weihnachten – und für das Jahr 2023 die Zuversicht, die das Kind in der Krippe uns schenkt!

Friederike Krippner ist Direktorin der Evangelischen Akademie zu Berlin. Für die Playlist zum Blog hat sie „Have yourself a merry little Christmas“ in einer neuen, gar nicht so traurigen Version gewählt, die John Legend gemeinsam mit Esperanza Spalding eingesungen hat.

Mit diesem Beitrag endet unser diesjähriger Adventsblog „TROTZDEM!“.

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Krippner, Friederike 2020

Dr. Friederike Krippner

Akademiedirektorin

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