Trotzdem fliegen?

Trotzdem fliegen?

Klimakrise und Schöpfungsglaube | Blog | Katharina von Kellenbach

© Jonas Klinke / EAzB

Hoffnung macht nicht nur widerständig, sondern auch willfährig, kompromissfreudig und risikofeindlich. Hoffnung kann dazu verführen, falsche Entscheidungen zu treffen. Theologische Gedanken zum Fliegen in Zeiten des Klimawandels.

Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben: „Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.“ Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.“ (Matthäus 4,5-7)

Als der Teufel Jesus zum Fliegen überreden will, lehnt der dankend ab. Naturgesetze sind keine Glaubensfrage: Die Gesetze der Schwerkraft bleiben in Kraft, auch wenn man ganz fest daran glaubt, dass man – von Engels Fittichen sanft getragen – wohlbehalten landen würde. Die Gesetze der Physik, der Biologie und der Chemie werden vom lieben Gott nicht außer Kraft gesetzt: „Du sollst den HERRN, deinen Gott, nicht versuchen.“ (Mt 4,7)

Wissenschaftler haben den Zusammenhang von der CO2-Konzentration in der Atmosphäre mit der Erderwärmung schon im 19. Jahrhundert entdeckt. Seit Mitte des 20 Jahrhunderts gilt dieser Zusammenhang als wissenschaftlich gesichert. Dennoch wurde die Hälfte aller CO2-Emissionen, die seit 1751 gemessen wurden, nach 1989 ausgestoßen – zu einer Zeit also, als der Klimawandel schon in der Öffentlichkeit politisch diskutiert wurde und alle davon wussten. Und obwohl ich damals, in den achtziger Jahren, auf das Autofahren verzichtete und ganz umweltbewusst mit Jutetasche und Sandalen gegen die Atomkraft demonstrierte, schlug die Welt einen anderen Weg ein: die Globalisierung nach neoliberalen kapitalistischen Prinzipien, die es Millionen Menschen ermöglichte, bitterster Armut zu entkommen, die den Massentourismus für neue Bevölkerungsschichten öffnete – und die Unternehmen und Universitäten internationalisierte. Transatlantische Flugreisen aus beruflichen und familiären Gründen wurden auch für mich nicht mehr wegdenkbar.

Können wir uns also ohne Konsequenzen über die Gesetze und Grenzen der Natur hinwegsetzen? Macht der Glaube, der Berge versetzt, auch das Fliegen möglich? Heute könnte sich Jesus problemlos von den Zinnen des Tempels werfen, denn er hätte einen erschwinglichen kleinen Gleitschirm im Rucksack. Solides Ingenieurwissen, wissenschaftliche Erkenntnisse und industrielle Innovationen haben schon lange die Engel ersetzt.

Die Religion hat der Menschheit einen evolutionären Vorsprung verschafft, sagen Sozialbiolog*innen. Unsere Spezies kann sich Zukunft vorstellen, unsichtbare Zusammenhänge erklären und die Beschaffenheit unserer natürlichen Umwelt verändern. Für die christliche Religion und besonders für die europäische Neuzeit wurde das Gebot der Schöpfungsgeschichte zum Programm: „Macht euch die Erde untertan und herrschet über die Fische des Meeres, die Vögel des Himmels, über das Vieh und alles Getier ...“ (Gen 1,28) Mit diesem Glauben an eine göttliche Berufung zur Herrschaft machten sich Christ*innen und deren aufgeklärte Erb*innen an die Eroberung der Welt und die Kontrolle der Natur.

Angesichts des Klimawandels und des Zusammenbruchs ökologischer Systeme muss dieser Glaube hinterfragt werden: Ist es heilsam oder teuflisch, zu glauben, der liebe Gott würde uns auffangen und die schlimmsten Konsequenzen menschlicher Misswirtschaft und Dummheit aufhalten? Verkehrt sich damit nicht die Heilsbotschaft vom Leben, das den Tod besiegt (Ostern), und vom Licht, das die Dunkelheit überwindet (Weihnachten), zum falschen Versprechen? Ist es nicht eher die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung der Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“, die der Realität gerecht wird?

Hoffnung macht nicht nur widerständig, sondern auch willfährig, kompromissfreudig und risikofeindlich. Hoffnung kann dazu verführen, falsche Entscheidungen zu treffen.

Tatsächlich geht es in der Bibel immer um Entscheidungen – zum Leben oder zum Tod – und um die Frage, ob und warum Menschen frei sind zu entscheiden (trotz aller biologischen, sozialen, und kulturellen Zwänge). Der jüdische Philosoph Abraham Joshua Heschel (1907-1972) unterscheidet zwischen „Kosmos“ und „Schöpfung“, um

„zu behaupten, dass der Mensch in der Lage ist, sich aus den Fesseln der Prozesse, in die er verwickelt ist, zu befreien und auf eine Art und Weise zu handeln, die nicht durch vorhergehende Faktoren bedingt ist. Freiheit ist der Zustand, aus sich selbst herauszugehen, ein Akt der geistigen Ekstase, in der ursprünglichen Bedeutung des Wortes.“

(eigene Übersetzung aus Abraham Joshua Heschel, God in Search of Man: A Philosophy of Judaism, New York 1955, S. 410)

Die Schöpfung ist kein historischer Moment am Anfang der Geschichte, sondern das Hereinbrechen von Unvorhersehbarem, das es vorher nicht gab und das nicht hergeleitet werden kann. Als Schöpfung ist die Natur einschließlich des Menschen – kein geschlossenes System, sondern ein sich ständig neu erfindendes Beziehungsgeflecht, eine Kosmogenesis. Gott ist nicht deus ex machina, der das System einstmals erschaffen hat, das seither nach gesetzten Regeln weiterläuft. Diese moderne Vorstellung von der Mechanik des Universums ist heute, auch in der Wissenschaft, nicht mehr gültig. Als Schöpfung versteht sich die Welt als auf die Zukunft hin offen, in kontinuierlicher Erschaffung und in Veränderungen, die wir mit-verursachen und denen wir ausgeliefert sind.

Sollen, dürfen wir also trotzdem fliegen?

Katharina von Kellenbach ist Referentin für unser Projekt „Bildstörungen: Elemente einer antisemitismuskritischen pädagogischen und theologischen Praxis“.

Ihr Musiktitel für die Playlist zum Blog: Über den Wolken von Reinhard Mey.

Die ganze Playlist zum Adventsblog TROTZDEM!

TROTZDEM! Ein Adventsblog

Der Advent liegt in unseren Breiten in der dunklen Jahreszeit: Die Tage sind kurz und kalt, auf dem Weg zur Arbeit oder zur Schule ist es ebenso dunkel wie auf dem Heimweg. In diesem Jahr lösen Dunkelheit und Kälte selbst in einem so reichen Industrieland wie Deutschland Beklemmung aus. Hohe …

Prof. em. Katharina von Kellenbach, PhD

Projektreferentin für „Bildstörungen: Elemente einer antisemitismuskritischen pädagogischen und theologischen Praxis“

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