Zwischen den Übeln
Kontroverse europäische Perspektiven auf Frieden und Gewalt
Fast alle Menschen wollen Frieden. Es gibt aber auch diejenigen, für die Frieden das Durchsetzen der eigenen Interessen bedeutet. Meinungsvielfalt und Andersdenkende stören diesen „Frieden“. Was ist Frieden und (wann) ist Gewalt erlaubt? Unterschiedliche Vorstellungen von Pazifismus - von totaler Ablehnung jeglicher Gewalt bis zur Akzeptanz rechtserhaltender Gewalt – kamen beim Bibeldialog „Dem Rad in die Speichen fallen – Dietrich Bonhoeffer und die Frage der Legitimierung von Gewalt“ zur Sprache.
Ein Jahr nach Kriegsbeginn in der Ukraine waren rund 50 Teilnehmer*innen aus unterschiedlichen europäischen Ländern online verbunden. „Wir haben ‚andere‘ Ansichten als die eigenen gehört und versucht, einander besser zu verstehen“, so Studienleiterin Tamara Hahn. „Das war anstrengend, aber lohnend.“ Fragen zu Frieden, Krieg und Gewalt nur mit denen zu diskutieren, die die eigene Meinung teilen, führe nicht weiter. Die Medien machten es leicht, nur das wahrzunehmen, was in das eigene Weltbild passt. „Viele von uns sind ein paar Schritte aus ihrem vertrauten Meinungs-Umfeld herausgetreten“. Allen gemeinsam sei die Rat- und Hilflosigkeit angesichts des Leids der Menschen in der Ukraine und der friedliebenden Menschen in Russland gewesen.
Gastreferent Dr. Martin Dutzmann, bei Kriegsausbruch noch Bevollmächtigter des Rates der EKD bei der Bundesrepublik und der EU, erläuterte die christliche Friedensethik, die nicht „erledigt“ sei, weil ein Krieg ausgebrochen ist. Gewalt abzulehnen könne jedoch bedeuten, Gewalt zuzulassen. Jedes Handeln aber genauso jedes Nichthandeln mache mitschuldig am Leid von Menschen – Zivilist*innen und Soldat*innen.
Es bleibt das Abwägen zwischen den zwei Übeln, das auch Dietrich Bonhoeffer bewegte. Der überzeugte Pazifist entschied sich schließlich dafür, sich am Versuch des „Tyrannenmords“ zu beteiligen. Er sah darin dennoch eine große Schuld. Kann uns das heute helfen, friedlich im Gespräch zu bleiben – gerade weil unsere Ansichten so unterschiedlich sind?
Bonhoeffers Haltung zu Gewalt und Krieg war Ergebnis eines Prozesses. Auch wir heute befinden uns in einem Prozess, müssen vieles neu denken und vieles Vertraute hinterfragen. Zu lange schien man sich in den westlichen Ländern mit Hoffnungen und Illusionen aus der Affäre ziehen zu wollen. „Wir wollten glauben, dass Handel den Frieden bewahren kann; dass Frieden, wenn er erst einmal erreicht ist, automatisch bleibt.“
Erschienen am 08.02.2023
Aktualisiert am 09.02.2023