„Keine Zukunft ohne Leute!“
Jugendliche und junge Erwachsene diskutierten die Berliner Wohnungspolitik

© Philipp Czampiel
Was wird schon getan – und was können Jugendliche tun, um ihr „Recht auf Stadt“ zu verwirklichen? Diese Frage stand im Mittelpunkt des zweiten Jugendwohnkongresses für Berlin im Haus der Kulturen der Welt. Auf einem Markt der Möglichkeiten konnten junge Berliner*innen Akteure aus Zivilgesellschaft und Verwaltung sowie Verbände kennenlernen, die sich für Mieterrechte, ein „Recht auf Stadt“ und für die Wohnsituation junger Menschen in Berlin einsetzen. Höhepunkt war die Vernissage mit künstlerischen Arbeiten von Schüler*innen des Oberstufenzentrums KIM in Berlin und, Studierenden der Kunsthochschule Weißensee und der Freien Universität Berlin, zu der auch Politiker*innen eingeladen waren. Mit Staatssekretär Stephan Machulik von der Berliner Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen (SPD), den Linken-Politikerinnen Sahra Mirow (MdB), Franziska Brychcy (MdA) und Elif Eralp (MdA), mit Lisa Knack (MdA, CDU) und Katrin Schmidberger (MdA, Bündnis 90/Die Grünen) konnten die Jugendlichen über die Wohnungsfrage in Berlin sprechen.
Zur Vorbereitung der Diskussion erarbeiteten die Jugendlichen in einem Workshop zentrale Diskussionspunkte zu aktuellen Herausforderungen beim Thema Wohnen und entwickelten erste Lösungsvorschläge. Ihre Kernaussagen zu den so identifizierten „Baustellen“ hielten sie auf Schildern fest; diese lauteten zum Beispiel:
„Mache FSJ und zahle 100 Prozent meines Lohns für Miete“
Manche Jugendliche waren Auszubildende, andere absolvierten ein Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ) oder studierten. Viele von ihnen wohnen bei ihren Eltern, obwohl sie gern ausziehen würden. Zuschüsse wie Bafög, das Taschengeld als Freiwillige*r oder auch Azubi-Gehälter reichen nicht, um auf dem Wohnungsmarkt gut aufgestellt zu sein: Freiwillige beispielsweise benötigen ihr gesamtes Taschengeld für die Miete. Auch wenn Studierende nebenbei arbeiten gehen, ist es schwierig für sie, eine Wohnung zu finden, die von dem Budget, das zur Verfügung steht, bezahlbar ist.
„Es fehlen Auszubildende – und alle müssen wegziehen“
Ein Beitrag einer Teilnehmerin brachte die Konsequenzen dieser Situation auf den Punkt: „Einerseits haben wir vor allem in den sozialen Berufen und in der Pflege viel zu wenig Fachkräfte; die müssen alle irgendwo ausgebildet werden. Gleichzeitig gehen uns die tollsten Fachkräfte verloren, wenn man für eine Ausbildung oder für ein Studium nach Bayern ziehen muss – nur, weil man in Berlin keinen bezahlbaren Wohnraum findet.“ Eine andere Teilnehmerin ergänzte: „In der Zukunft wird es sehr wenige Jugendliche und junge Erwachsene geben auf dem Arbeitsmarkt!“
„Warum gibt’s nicht mehr Azubiwohnheime?“ „Mietendeckel bitte!“
Die Jugendlichen forderten: die Wiedereinführung des Mietendeckels, mehr Wohnraum für Azubis und Studierende, ein FSJ, das höher entlohnt wird, eine einfachere Bafög-Antragsstellung. Die Diskussion mit den politischen Akteuren zeigte: Es gibt konkrete Ideen, die auch politisch im Gespräch sind. So zum Beispiel der Ausbau des Konzepts „Azubiwohnen“ bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Hier heißt es: Dran bleiben!
„Rassismus auf dem Wohnungsmarkt“
Manche der Teilnehmenden überlegen, wegzuziehen aus Berlin (oder Deutschland), weil sie Diskriminierungserfahrungen auf dem Wohnungsmarkt gemacht haben. Ihr Lösungsvorschlag: Anonymisierte Verfahren bei der Bewerbung um Wohnungen. Auch die Einführung einer Beschwerdestelle für Mieter*innen, analog zur Verbraucherzentrale, könnte dafür sorgen, dass Vermieter*innen Konsequenzen spüren, wenn sie Regeln nicht einhalten. Das Machtgefälle zwischen Mieter*innen und Vermieter*innen erleben einige der Teilnehmenden als sehr hoch. Das muss anders werden! Erfahrungen von Rassismus zeigten sich den Betroffen zufolge aber nicht nur bei der Bewerbung für eine Wohnung: In einigen Gegenden von Berlin, so berichteten einige, könnten sie sich im öffentlichen Raum nicht sicher fühlen. Gerade jungen Menschen ist es wichtig, Zugang zu öffentlichen Räumen zu haben – das betonten viele in der Diskussion.
„Ihr hattet Auftrag vom Volksentscheid, warum macht ihr?“
Beim Jugendwohnkongress war auch die Initiative „Deutsche Wohnen und Co enteignen“ auf dem Markt der Möglichkeiten vertreten. Durch die Begegnung mit der Initiative hatten die Jugendlichen dann Fragen an die Politik. Sie wollten wissen:
Was passiert mit dem Volksentscheid aus dem Jahr 2021, dem Berliner*innen mehrheitlich zugestimmt hatten? Der hatte eingefordert, dass private profitorientierte Immobiliengesellschaften, die mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin besitzen, enteignet werden, damit ihre Bestände in Gemeineigentum überführt werden können? Warum wurde diese Forderung noch nicht umgesetzt?
„Was tun bei Leerstand?“
„Warum klappt es beim Bauen mit den Büros, aber nicht mit dem Wohnraum?“
Gleichzeitig hatten viele der Jugendlichen beobachtet, dass es viel Leerstand gibt in Berlin – könnte das nicht genutzt werden, um Wohnfläche zu schaffen? Was könnte man tun, um zu verhindern, dass Investoren ihre Flächen und Gebäude leerstehen lassen, um ihre Rendite zu erhöhen? Und könnten neu gebaute Bürogebäude vielleicht teilweise umgenutzt werden? Bei der Diskussion mit den politischen Gäst*innen wurde deutlich, dass Umnutzung mit hohen Investitionskosten verbunden ist, gerade, um auch Kriterien der Nachhaltigkeit einzuhalten. Hier genauer hinzusehen und kreative Lösungen zu finden, lohne sich trotzdem.
Am Ende steht viel auf dem Spiel: „Keine Zukunft ohne Leute“, leuchtete in hellem Orange auf einem der Baustellenschilder, die die Jugendlichen den Politiker*innen „mitgebracht“ hatten. Ja, Berlin braucht junge Leute, um als Stadt Zukunft zu haben! Die Politiker*innen durften die Schilder mitnehmen – als Erinnerung, an welchen Baustellen sie zu arbeiten haben, und welche Erfahrungen und Lösungsideen die jungen Berliner*innen ihnen dazu auf den Weg geben möchten.
Der Jugendwohnkongress „Und Jetzt“ ist eine Kooperation der Evangelischen Akademie zu Berlin, von Gangway e.V. und dem Haus der Kulturen der Welt (HKW). Ein Projekt im Rahmen des HKW-Programms heimaten, gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Der Jugendwohnkongress wird vom Jugend-Demokratiefonds Berlin STARK gemacht! der Jugend- und Familienstiftung des Landes Berlin gefördert.
Autorin: Hannah Schilling
Erschienen am 19.12.2025
Aktualisiert am 19.12.2025


