„Ein Job für Christinnen und Christen“
Christian Staffa über die Notwendigkeit, antijüdischen Erzählungen zu widersprechen

© Karin Baumann / EAzB
Antisemitische Bilder prägen unseren Alltag. Viele davon sind Ergebnisse der Vorstellung, das Alte Testament sei mit dem Judentum zu identifizieren und als überholt anzusehen; dagegen stehe das Neue Testament für das „moderne“ Christentum. In dieser dualistischen Ansicht zeigt sich „ein didaktisches und theologisches Grundproblem“, sagt Christian Staffa. Am Beispiel des Pharisäer-Kaffees skizziert er in der Oktober-Ausgabe von „Welt und Umwelt der Bibel“, wie das Jüdische als Negativfolie für das Christliche missbraucht wird.
Im Pharisäer-Kaffee ist Alkohol zwischen Kaffee und Sahne „versteckt“; die Bezeichnung des Getränks bezieht sich auf die angebliche Scheinheiligkeit, die den jüdischen Schriftgelehrten zugeschrieben wird. Staffa kritisiert die Lesart der Pharisäer als Heuchler: Tatsächlich seien sie „darum bemüht, die Heilige Schrift ins Leben zu tragen“. Als Vertreter der Umsetzung der göttlichen Gesetze könnten sie Neid erweckt, mit ihren Regeln aber auch überfordert haben. „Typisch protestantisch ist die Sichtweise, das Gesetz abzuwerten und damit auch die Umsetzungsformen, bis hin zu einer Denunzierung des ganzen Judentums“.
Auch im Neuen Testament gebe es Ansätze, die Pharisäer positiv beschrieben, doch die würden „in der Rezeption nicht mehr in Anschlag gebracht“, stellt der Studienleiter fest. In Predigten wie auch in Schulbüchern müsse „das Christliche irgendwie erstrahlen, und wenn es erstrahlt, muss irgendwas dunkel sein.“ Diese strukturelle Gegenüberstellung sei zu beenden – und das „ist ein Job für Christinnen und Christen, das aufzubrechen“. Neue, andere Erzählungen zu implementieren sei mühsam, betont Staffa, der auch Antisemitismusbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. „Wie beschreibe ich das Neue in Jesus, ohne das Alte zu denunzieren?“ Wichtig sei in diesem Kontext, die Bibel „nicht als Geschichtsbuch“ anzusehen und zu verstehen, „was zwischen den Buchstaben steht“.
Viel Nachholbedarf sieht der Theologe im Ausbildungskontext; darüber hinaus sollten neben Schulbüchern beispielsweise auch Texte im Internet kritisch angesehen werden. Wichtig sei, dass immer mehr Menschen widersprächen, wenn von „dem Juden“ die Rede sei, oder von „dem alttestamentarischen Rache-Gott“ oder eben auch „dem Pharisäer“. „Es ist mein Wunsch, dass alle Christen eigentlich Antisemitismusbeauftragte sind.“
Erschienen am 15.10.2025
Aktualisiert am 15.10.2025