Gottes Gewalt gegen Israel?
Ruth Poser über das Buch Ezechiel
Die Stadt Jerusalem, verkörpert durch die Figur einer geliebten, aber untreuen Ehefrau, wird mit Gottes Zustimmung von ihren Feinden sexuell erniedrigt und brutal geschändet. Die im sechsten Kapitel des Ezechielbuchs geschilderte sexualisierte Gewalt ist erschreckend und man kann diesen Text heute kaum mehr lesen. Und dennoch, so zeigt es Ruth Poser, ist dieser Text der prophetische Versuch, traumatische Kriegserfahrungen theologisch zu bearbeiten. Das Buch Ezechiel reagiert auf die Grausamkeiten der Belagerung und Zerstörung des Südreichs Israels zu Beginn des 6. Jahrhunderts vor Christus und findet eine Bildsprache um die Traumata (griechisch: „Wunden“) vor Gott zu tragen. Traumasensibel und befreiungstheologisch gelesen, können solche Texte, gerade in ihrer Anstößigkeit, auch heute noch wichtig sein, um unsere Sprachlosigkeit angesichts kriegerischer Zerstörung und sexueller Gewalt zu überwinden.
In unserer Reihe Antisemitismuskritische Bibelauslegungen stellen wechselnde Exeget*innen neue Bibelauslegungen vor, die der tradierten Stereotypisierung von Juden, Jüdinnen und Judentum entgegentreten.
Dr. Ruth Poser ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Altes Testament an der Philipps-Universität Marburg.
Erschienen am 23.10.2025
Aktualisiert am 23.10.2025



